Liebe Leserinnen und Leser,
um für den heutigen Sonntag planen zu können, haben viele von uns gewiss den aktuellen Wetterbericht studiert. Passend zum Wetterbericht habe ich einen geistlichen Impuls von Gotthard Fuchs gefunden.
„Was früher Orakel waren, scheint heutzutage der Wetterbericht zu sein. Auffällig oft jedenfalls kommt die Rede darauf – mit dem erstaunlichen Vertrauen zudem, genaue Vorhersagen zu erhalten. Ob auch das Interesse mitspielt, auf Nummer sicher zu gehen und wenigstens ein kleines Stück Zukunft beherrschbar zu machen ? Die sprichwörtlichen Gespräche übers Wetter sind unverfänglich und gerade für Schnupperphasen und Annäherungsversuche erste Schritte. Aber vermutlich steckt doch mehr dahinter. Sonst wäre das Interesse an den neuesten Nachrichten nicht so alltagspräsent und erwartungsvoll. Ist es eine letzte Bastion des Unverfügbaren ? Wenn jedenfalls unsereiner auf eigene Faust ins Klima eingreifen will, wird´s katastrophisch!
Wetter ist eben weit mehr als Meteorologie, die Luftströme und Wolkenbildungen analysiert – das sensible Zusammenspiel von Erde und Himmel und allem dazwischen und darin. Bei all ihrer Genauigkeit erlebt sie freilich doch ständig Überraschungen. Wie oft trifft die Wettervorhersage dann doch nicht zu! Wetter ist mehr als Wetter. Von Atmosphären sprechen wir nicht zufällig im Mehrfachsinn. „Wetterfühlig“ spüren wir genau, wo etwa dicke Luft herrscht und wo ein gutes Gesprächsklima. „Witterung“ hat einen bezeichnenden Doppelsinn: sozusagen objektiv als Großwetterlage in bestimmten Zeiten und Räumen – und subjektiv als das, was wir in der Nase haben und was in der Luft liegt. Da nehmen wir Witterung auf. Jedes „Donnerwetter“ in Beziehungen kann klären oder gefährden. Jedes Gewitter reinigt (…). Kein Wunder, dass man die Religionsgeschichte als Wetter- und Witterungsgeschichte schreiben könnte. Blitz, Donner, Erdbeben und vor allem die Fruchtbarkeit waren Erfahrungen numinoser Überwältigung, die es religiös zu „bändigen“, kultisch zu gestalten galt. Wettersegen oder Flurprozessionen zeugen bis heute davon (…).
Auch der Gott Israels war ursprünglich ein Berg- und Wettergott. Noch in seinem unaussprechlichen Namen spielt das althebräische Verb „wehen“ eine Rolle. In den Bergen der Nabatäer hatte er wohl seinen Regierungssitz, bevor er sich in erstaunlicher Beweglichkeit mit seinem Volk auf den Weg machte. Sein Markenzeichen aber blieb lange das Erscheinen in Blitz und Donner – bis Israel ihn als „Stimme eines verschwebenden Schweigens“ entdeckte (1 Kön 19,12), als zärtliche Intimität im Vorübergang nicht nur draußen, sondern mehr noch drinnen (…).
Dass man einen Wetterbericht wie ein Evangelium hört, ist also nicht zufällig. Wir wollen wohl wissen, was in der Luft liegt und was auf uns zukommt, und sind doch abhängiger, als uns womöglich lieb ist: einer größeren Wirklichkeit ganz gegenüber und doch ganz in ihr. Ob deshalb Jesus selbst dazu riet, auf die Wetterlage zu achten (vgl. Lk 12,54ff) ?“
Aus: Fuchs, Gotthard: Vom Göttlichen berührt. Mystik des Alltags. Freiburg i. Brsg. 2017, S. 35–37.
Pace e bene
M. Kammradt