Lockerungen, zurück in die Normalität, mehr Freiheit, Coronaregeln, Hygienebestimmungen, Abstand wahren – das sind einige Worte, die unsere Diskussionen in den Medien und auf der Straße bestimmen. Aber was ist normal?
Die Viertklässler freuen sich, wieder in die Schule gehen zu dürfen und empfinden: Es ist schön, die Freunde wieder sehen zu dürfen, aber ich möchte sie auch umarmen und so spielen dürfen wie vorher.
Kinder freuen sich, wieder auf dem Spielplatz zu spielen, aber mit Abstand? Irgendwie komisch.
Zwei Familien dürfen sich wieder treffen – aber unser Bekanntenkreis ist viel größer und normalerweise würden wir uns in viel größeren Gruppen treffen.
In dem Wort „normal“ steckt das Wort „norm“. Jede Gruppe, ob Familie, Vereine, Gruppen in Bildungseinrichtungen, Freundeskreise, Kirche, haben ihre Normen, Regeln, mehr oder weniger schriftlich fixiert.
Ich habe den Eindruck, wir erfinden unser Miteinander gerade mal wieder neu, und das auf allen Ebenen. Leben lernen mit Corona, heißt es da.
Auch die Jünger Jesu, seine Freunde, mussten ihr Leben miteinander neu erfinden nach dem Tod Jesu. Das Buch der Apostelgeschichte erzählt uns, wie Kirche entstand. Immer noch fragen sie Jesus: „Stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6)
Jesus beantwortet diese Frage nicht, sondern verspricht ihnen, „ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8)
Ich glaube nicht, dass die Jünger diese Antwort damals verstanden haben. Und was machen sie: Sie kommen in ihren Häusern zusammen und beten und warten, vielleicht ein wenig ratlos. Sie mussten Leben lernen ohne Jesus leibhaftig bei sich zu haben.
Irgendwann finden sie die Kraft, von Jesus und seinen Taten zu erzählen. Sie werden diese Kraft deuten als die Erfahrung des hl. Geistes, den Jesus ihnen versprochen hat. Menschen glauben ihnen und schließen sich dieser Gemeinschaft an, die an Jesus glauben. Sie wurden von anderen als die Anhänger des neuen Weges bezeichnet.
Vielleicht stehen wir in den Gemeinden und in der Kirche in einer ähnlichen Situation. Wir fragen immer noch: Wofür bist du da, Kirche von Olpe? Was ist wichtig in den Gemeinden? Wie können Kinder, Erwachsene, Senioren ihren Glauben leben? Vielleicht sind wir auch ein wenig ratlos.
Vielleicht müssen wir in der Kirche lernen, die Kraft der Gemeinschaft und des Gebetes neu zu entdecken, ohne uns auf organisatorische Klimmzüge zu konzentrieren, wie wir Eucharistie feiern können, wie wir Kindergottesdienste mit Abstand feiern können oder wollen. Vielleicht müssen wir wie die Jünger Jesu damals unser Miteinander als Kirche mal wieder neu erfinden, wie so oft in der jahrtausendalten Geschichte der Kirche. Vielleicht brauchen wir ein wenig Mut, neue Wege einfach zu leben, ohne auf die Hauptamtlichen in der Kirche zu schauen, was sie uns vielleicht anbieten in dieser Zeit. Denn Kirche lebt dort, wo zwei oder drei, Kinder, Erwachsene, Senioren, zusammenkommen im Namen Jesu.
Sr. Gertrudis Lüneborg