Liebe Leserinnen und Leser,
Fußball-Deutschland steht Kopf, Politik und Gesellschaft diskutieren vehement zwischen „systemrelevant“ und „unverschämtem Lobbying“, mit nahezu unzählbaren Nuancen. Entscheidungen sind getroffen und dennoch: Wie geht´s weiter mit der Saison?
Eine sehr ähnliche Frage vor ein paar Wochen in den USA: Wie kann der „Draft“ funktionieren?
Mindestens zweimal im Jahr steht Football-Amerika Kopf. Dann geht es um den „Super Bowl“ (Februar) und eben den „Draft“ (April). Bei diesem in einem Höchstmaß medial inszenierten Spektakel wählen die 32 Teams der National Football League College-Spieler aus, binden sie vertraglich an sich und statten sie aus mit Millionengehältern.
In diesem Jahr machte die Pandemie auch dieser durchgestylten Show einen Strich durch die Rechnung. Ohne physische Nähe der Beteiligten konnte der Auswahlprozess lediglich digital unterstützt vonstattengehen. Für den Zuschauer im Höchstmaß langweilig. Das kann der Branche nicht passen. –
Die derzeitige Situation in unseren Gemeinden bietet durchaus Vergleichspunkte. Auch wenn es für uns wieder möglich ist, gemeinsam und dabei physisch nah, Gottesdienste zu gestalten: österlich-feierlich, wie wir sie kennen, sind sie nur bedingt. Dazu unterbinden die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zu viele unserer gewohnten Gestaltungsspielräume. Derzeit geht es aber nicht anders. –
Die heutige Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 13,13–25) erzählt vom reisenden Paulus. Immer wieder weist er auf die Verbindung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus hin, auch jetzt in Antiochia: „Aus seinem Geschlecht hat Gott dem Volk Israel, der Verheißung gemäß, Jesus als Retter geschickt. Vor dessen Auftreten hat Johannes dem ganzen Volk Israel Umkehr und Taufe verkündigt.“ (13,23f.)
Im Herbst 2018 durfte ich mit einer Gruppe aus unserem Pastoralverbund durch Israel reisen. Wir besuchten auch die Wirkungsstätte des Täufers. In Sachen Taufstelle Jesu berufen sich mehrere Orte (und seit geraumer Zeit auch ausgefeilte Geschäftsmodelle) auf ihre „Authentizität“. Deshalb haben wir – gut katholisch – den seit frühchristlicher Tradition verehrten Ort aufgesucht. Spektakulär ist der nicht, außer mit Blick auf die Nachbarschaft an dieser Grenze. Jenseits des schmalen Jordan-Ufers stehen bewaffnete jordanische Soldaten, keine zehn Meter entfernt. Die kleine Feier unserer Tauferneuerung war dennoch (oder umso deutlicher) besonders.
Alle Mit-Pilgerinnen und –pilger empfingen dieses grundlegende Sakrament als Babys. Damit begann ihr Eintreten in die Glaubensgemeinschaft der Christen. Und auch wenn sie sich heute, je persönlich, mehr oder weniger nah zugehörig fühlen: dieser Augenblick am stinkenden Rinnsal Jordan bewegte. –
Die Taufe ist Realsymbol für die besondere, unauflösbare Gemeinschaft des Getauften mit Jesus Christus. Er ist der Retter. Durch ihn hat die Erbsünde jegliche Macht über den Täufling verloren. Das Sakrament der Taufe ist die erste Wegmarke auf dem Weg der unüberbietbaren Gemeinschaft in der bleibenden, barmherzigen und liebenden Nähe Gottes.
Dieses theologische Konzept hat lange Erkenntnisprozesse hinter sich. Genau wie die verwendete Fachsprache. Diskussionen und Auseinandersetzungen durch die Jahrhunderte bilden den Hintergrund.
Übersetzungsarbeit in unsere Lebenswirklichkeit und den Gemeindealltag ist auch hier das A und O. Sie gut und ansprechend zu gestalten, kann herausfordernd sein. Und lohnend, weil sich Verständnistiefe erfahren lässt.
Damit bleiben wir sämtlichen Auswahlprozessen aus der Welt des Sports (bzw. der Wirtschaft) überlegen. Mindestens in einem. Auch wir wurden ausgewählt! Deshalb empfingen wir die Taufe. Und der eine oder die andere wird bedauern, dabei nicht ebenso mit höchst auskömmlichen Geldsummen ausgestattet worden zu sein. Doch gegenüber dem noch so lukrativsten „Draft“ ist eines klar: unser „Vertrag“ beschränkt sich nicht auf Jahre. Von Gott her ist er unkündbar.
Martin Neuhaus