Gedanken zum Tag – 6. Mai 2020, Mitt­woch der vierten Osterwoche

6. Mai 2020

Wenn ich in diesen Tagen abends den Fern­seher einschalte, sehe ich in den großen Talk­shows und Nach­rich­ten­sen­dungen viele wich­tige Menschen. Ich kenne mitt­ler­weile fast alle Namen der Minis­ter­prä­si­denten, die jetzt mit der Bundes­kanz­lerin darum ringen, welche Locke­rungen regional möglich sind bei gleich­zei­tiger Beob­ach­tung des Infek­ti­ons­ge­sche­hens. Bei Maisch­berger, Illner und Lanz tummeln sich bewun­derns­wert intel­li­gente und ausge­zeich­nete Wissen­schaftler, Ärzte, Biologen und Viro­logen, deren Namen mir bis vor wenigen Wochen unbe­kannt waren. Sie alle führen, leiten und infor­mieren uns in dieser Krise.
Parallel dazu gibt es Menschen, die in den system­re­le­vanten Berufen ‑trotz teil­weise unge­rechter Bezah­lung- dafür sorgen, dass unser Gemein­wesen während des Ausnah­me­zu­standes weiterhin funk­tio­niert. Sie alle- egal ob promi­nent oder weniger bekannt- leisten einen sehr wich­tigen und notwen­digen Beitrag. Es wird berech­tig­ter­weise gelobt und gedankt.

Trotzdem oder gerade deshalb möchte ich heute mal eine andere Gruppe von Menschen in den Blick nehmen.

Die große bibli­sche Wüsten­wan­de­rungs­ge­schichte erzählt von Mose, Aaron und Josua. Von ihren Führungs­leis­tungen und großen Taten. Sie erzählt von Gott, von seinem Geleit und seinen Wundern. Und sie erzählt auch vom „Volk“, von „den Leuten“, „den Israe­liten“. Was sie nicht erzählt oder nur selten, ist die Geschichte der Einzel­per­sonen dieses Volkes. Sie erzählt wenig von der Frau, dem Mann, dem Kind, das auf dieser Wüsten­wan­de­rung Schritt für Schritt gegangen ist. Jede und jeder Einzelne musste diese Wande­rung für sich bestehen. Sie waren zwar Teil einer soli­da­ri­schen Wegge­mein­schaft, einer geführten und geseg­neten Wegge­mein­schaft – aber jede und jeder Einzelne musste doch jeden Schritt durch die Wüste selbst tun. Jede und jeder Einzelne musste jeden Tag durch­halten, guten Mutes bleiben, irgendwie vorankommen.

In unserer Corona-Krise gibt es viele Menschen, die zunächst einfach mal sehen, wie sie durch­kommen durch den Tag. Die über­legen, wie sie die Kontakt­ver­bote einhalten und die Versor­gung unter Einhal­tung der Abstands- und Hygie­ne­re­geln aufrecht­erhalten können. Menschen, die ihren Tages­ab­lauf struk­tu­rieren, regel­mä­ßige Mahl­zeiten auf den Tisch bringen, die Wäsche waschen. Die ihr Home­of­fice orga­ni­sieren und mit dem Haus­un­ter­richt ihrer Kinder verein­baren müssen. Die ein paar soziale Kontakte pflegen, sich bemühen eini­ger­maßen bei Laune zu bleiben und die für die Familie trotz Exis­tenz­angst stark sein müssen. Fami­lien, die ihre Ange­hö­rigen nicht im Alters­heim oder Kran­ken­haus besu­chen dürfen. Groß­el­tern, die sich plötz­lich mit neuen digi­talen Medien ausein­an­der­setzen, um die Enkel­kinder in der Ferne endlich mal wieder­zu­sehen. Studenten, die unge­fragt und unge­wollt ein kollek­tives Fern­stu­dium absol­vieren. Kinder, die auf dem Schulhof nicht mehr unbe­schwert mitein­ander toben können. Frauen, Männer, Jugend­liche, Kinder, die einfach ihren Alltag bewäl­tigen und bestehen.

Dadurch aber, dass sie das schaffen – und wir alle sind die, die das derzeit irgendwie schaffen – leisten sie einen Beitrag, dass unsere Wegge­mein­schaft voran­kommt in der Corona-Krise. So wie damals das Volk Gottes auf dem Weg ins gelobte Land. Jede und jeder, der es schafft, sich an die Schutz­re­geln zu halten und seinen Alltag zu bewäl­tigen, leistet einen soli­da­ri­schen Beitrag auf unserem gemein­samen Weg durch die Corona-Wüste. Ich glaube, es lohnt sich, sich auch das immer wieder mal bewusst zu machen. Ich muss nicht jeden Tag eine beson­dere Heldentat voll­bringen, um einen Beitrag zu leisten. Den Alltag bestehen, damit es voran geht Tag um Tag, das ist nicht wenig in dieser Zeit.

Gerlind Kaptain

Leser interessierten sich auch für:

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner