Liebe Leserinnen und Leser,
Pilgern ist etwas, dass im Mittelalter zwar einer fast ausschließlich gehobenen und betuchten Klasse vorbehalten war, jedoch war es damals Gang und gäbe, zu den heiligen Stätten der Christenheit zu reisen. Und die Motive, warum Menschen sich auf den Weg machten, waren ganz ähnliche wie die der Menschen in der heutigen Zeit.
Der tief verwurzelte Glaube und das Vertrauen auf Gott waren ihre Hauptantriebsfeder verbunden mit den verschiedensten Erwartungen. Dazu gehört zum Beispiel die Hoffnung auf Vergebung von einer besonderen Schuld, die Befreiung von Sorgen und Nöten im Alltag, die Erlösung von schweren Krankheiten, Hilfe in aussichtslosen Lebenslagen oder auch die Bitte um eine gute Ernte und dergleichen mehr und schließlich auch der demütige Dank an Gott, für das Gute, dass er uns getan hat. Der Dank für gesunde Kinder und einen liebenswerten Lebenspartner, das Dankeschön für unsere eigene Gesundheit und unser Lebensglück und vieles, vieles mehr.
Das hört sich natürlich alles ganz nett an, aber man könnte sich auch fragen, ob es die Strapazen und Mühen, die Menschen dabei auf sich nehmen auch wert sind. Man könnte fragen, ob das ganze Bitten und Betteln, das Danken, das Beten und Singen überhaupt etwas bringen, ob dem Pilger tatsächlich Hilfe widerfährt oder ob sein Dank angenommen wird?
Morgen machen sich zum 262. Mal eine Corona bedingt sehr kleine Gruppe Olper Wallfahrer auf den Weg, um zur Mutter Gottes nach Werl zu pilgern. Sie alle verbindet dabei die oben genannten Beweggründe. Sie beten für sich selbst, für ihre Familien, für Alte und Kranke, für Hungernde und für die Menschen in den Krisengebieten dieser Welt, für Gleichberechtigung und Toleranz, für Frieden und Freiheit und bestimmt auch für eine bessere und gerechtere Welt. So entsteht ein ganz intimer und persönlicher Dialog mit Gott und der Mutter Gottes, und mit zunehmender Dauer scheint sich die Distanz zu Gott, welche wir im Alltag schon fast automatisch aufbauen, zu verkürzen, bis sie schließlich fast gänzlich abgebaut ist.
Man lässt Gott buchstäblich ganz nah an sich ran, man lässt ihn einkehren unter sein Dach, ohne Barrieren, ohne Hindernisse und dann beginnt Gott tatsächlich in uns zu wirken. So würde ich meine persönlichen Erfahrungen mit der Wallfahrt beschreiben und auf die vorhin gestellte Frage, ob es überhaupt etwas bringt, möchte ich mit einem klaren „Ja“ antworten.
Zu Pilgern befreit den Geist und unsere Seele von überflüssigem Ballast, es schafft eine wunderbare Klarheit und Frische, so wie nach einem Gewitter. Es vermittelt ein großartiges Gemeinschaftsgefühl, ungefähr so wie bei den Drei Musketieren: „Einer für Alle, Alle für Einen“.
Und „on the top“ gibt die Wallfahrt zur Mutter Gottes nach Werl eine tiefe, emotionale Glaubensgewissheit, dass Gott immer bei uns ist und uns nicht allein lässt. Egal was kommt und egal wie schlimm es auch sein mag. Es gibt die Gewissheit, dass die Mutter des Herrn, die Trösterin der Betrübten eine starke Fürsprecherin für uns bei Gott ist. Sie nimmt sich unserer Sorgen und Nöte an. Das hat jeder schon erlebt, der einmal mitgegangen ist.
Versuchen Sie es doch in diesem Jahr auch einmal. Leider hier an dieser Stelle zwar nur virtuell, aber trotzdem ganz nah dabei. Und im kommenden Jahr dann vielleicht — so Corona es zulässt — ganz real, mit Rucksack und Wanderschuhen, mit Rosenkranz und Pilgerbuch, denn Pilgern ist „Wellness für die Seele“.
Ihr
Georg Scheiwe
(Wallfahrtsleiter)