Es hat sie erwischt: mitten auf der Gasse, wo Menschen, Tiere und Wagen sich drängen. Auf dem Heimweg, vom Besuch ihrer älteren, verheirateten Schwester. Sie und ihr älterer Bruder Stefano. Sie bleibt da mitten im Gewühl wie angewurzelt stehen und starrt nach oben, in Richtung der Kirche San Dominico. Vor ihren Augen ein prächtiges Schauspiel: ein herrlich prunkvolles Zelt in königlicher Pracht. Und im Zelt Jesus Christus, angetan mit päpstlichen Gewändern auf einem Thron sitzend. Katharina steht und schaut, schaut und staunt. Christus schaut sie an, lächelt ihr zu und segnet sie.
Die meisten von uns wären in solch einer Situation wohl zutiefst erschrocken. Man hätte Angst, da ein Trug- oder Wahnbild vor Augen zu haben, oder dass es Halluzinationen seien, die man da habe. Und jeder würde hoffen, dass es niemand anderes gemerkt hätte. Und wir würden uns fürchten. Wer rechnet schon ernsthaft damit, Gottes Sohn so leibhaftig gegenwärtig zu sehen. Auch Stefano erschrickt, weil er seine kleine Schwester so dastehen und nach oben starren sieht. Er rempelt sie an und versucht sie von da weg zu bringen. Und er fürchtet sich, weil sie so fremd und eigenartig ist. Nur eine fürchtet sich nicht, weil sie fest genau mit dieser Gegenwart Gottes in ihrem Leben rechnet: Katharina von Siena.
Sie ist 1347 ist eine wirre Zeit hineingeboren. Die mittelalterliche Einheitswelt ist zerbrochen. Das Papsttum hat sich zwar gegenüber dem Anspruch weltlicher Herrscher behaupten können, aber nur um den Preis der Abhängigkeit von der französischen Krone. In Siena wie in vielen anderen Städten gibt es den harten Widerstreit zwischen Papstanhängern und Gegnern, zwischen Adel und immer stärker werdendem Bürgertum. Die Zeit ist geprägt von Kriegen, schier unlösbaren Konflikten und Gewalt in fast allen Lebensbereichen.
Nur Katharina in ihrer Zeit, scheint keine Furcht zu kennen. Seit sie als Siebenjährige, das Bild des segnenden Christus gesehen hat, will sie nicht anderes mehr, als ihm allein nachfolgen.
Wie gern hätte so mancher von uns ein so klares Bild vor Augen, eine so klare Idee und Vision vom eigenen Lebensweg.
Doch so einfach ist es auch bei Katharina nicht. Ihre Mutter hat entschieden andere Pläne. Sie will sie gut verheiraten und versorgt sehen. So lässt sie die eigene Tochter jahrelang in ihrem großen Geschäftshaushalt als Magd arbeiten und schwerste Arbeiten machen, damit sie zur Vernunft kommen soll, wie sie meint. Katharina fügt sich, arbeitet am Tag in Haus und Hof, Küche und Keller und betet in der Nacht. Sie betet nachts, weil die Mönche, im nahe gelegenen Dominikanerkloster dann schlafen. Sie fühlt sich schon so sehr als Dominikanerin, dass sie sie Gebete, die die Brüder am Tag verrichten, auch in der Nacht weiterführt.
Ihre Hartnäckigkeit zeigt schließlich Erfolg und sie wird mit 16 Jahren in den dritten Orden des Hl. Dominikus aufgenommen.
Vielen Menschen heute fällt es schwerer eine Lebensentscheidung zu treffen. Sie fürchten, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, später nicht mehr die Möglichkeit zu haben, zwischen anderen Alternativen zu wählen oder auch, noch einmal ganz etwas anderes zu machen.
Aber auch diese Furcht kennt Katharina nicht. Nachdem sie drei Jahre freiwillig zurückgezogen in einem Zimmer ihres Elternhauses gelebt hatte, verlässt sie plötzlich entschlossen diese Zelle. Sie hatte das Wort Jesu gehört, nun hinauszugehen und in der Welt für ihn zu wirken.
Mit gleich gesinnten Brüdern aus dem Dominikanerorden und Schwestern des dritten Ordens, ihrer „Familia“ wie sie sie nennen wird, macht sich Katharina auf und mischt sich ein in die tägliche Politik ihrer Stadt, der umliegenden Städte Florenz und Pisa und später auch Rom, Avignon und weit darüber hinaus. Ihr ist der Frieden ein Anliegen. Nicht nur der Friede der auf dem Schweigen der Waffen beruht, sondern der Friede der entsteht, wenn Recht und Gerechtigkeit herrschen und das Evangelium Jesu der Maßstab des Handelns wird. Sie, das ungebildete Mädchen, das kaum lesen und schreiben kann, diktiert im Laufe der Jahre unzählige Briefe an Herzöge, Söldnerführer, Regierungen, Bischöfe, Fürsten und Kardinäle. Über 380 ihrer flammenden Briefe sind noch heute erhalten. Sie lässt sich nicht vom Druck der Verhältnisse, von Sachzwängen und scheinbar Unmöglichem beirren. Sie richtet sich nicht bequem ein in dem: „da kann man ja doch nichts machen“ sondern Katharina fühlt sich durch die Aufforderung Christi, ihm in der Welt zu dienen, nicht nur zu einem ungewöhnlichen Lebensstil sondern auch zu politischem Handeln ermächtigt.
Gelegentlich scheint es doch einmal so zu sein, dass sie, bei aller Furchtlosigkeit, ein bisschen Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hat. So erzählt sie ihrem treuen Begleiter Raimund von Capua, sie habe Christus vorgehalten, sie sei ja nur eine Frau die nicht predigen und nicht mit Männern gleichberechtigt umgehen dürfe. Darauf habe er ihr versichert, dass bei Gott nichts unmöglich sei und dass er, seiner Gewohnheit gemäß, das Starke mit dem Schwachen zu besiegen gedenke. (Catarina an Raimund von Capua)
Ihre Liebe zu Christus und somit zu seiner Kirche reicht soweit, dass sie es dann wieder furchtlos wagt, den Päpsten ihrer Zeit zu schreiben. Sie ermutigt ja sie fordert Gregor den XI. unmissverständlich auf, aus der Abhängigkeit der französischen Könige auszubrechen und von Avignon nach Rom zurück zu kehren. Er solle endlich Kirche und Klerus reformieren und selbst damit beginnen, mehr das Evangelium zu leben, als sich in Kriege um die weltliche Macht zu stürzen. Und Gregor weist sie nicht ab, berät sich immer häufiger mit ihr und fragt sie eines Tages vor dem versammelten Kardinalskollegium, ob es wohl wirklich gut sei, nach Rom zurückzukehren. Auf ihren Einwand, es stände ihr nicht zu einem Papst einen Rat zu geben erwidert er: „Ich bitte dich nicht, mich zu beraten sondern ich will, dass du mir in dieser Sache den Willen Gottes kund tust!“ (Prozess von Castello, S. 300)
Katharina ist nicht nur eine Frau starker und machtvoller Worte, sondern auch helfender, barmherziger Tat. In einer der schweren Pestepidemien jener Jahre, von denen ihr geliebtes Siena heimgesucht wird, pflegt sie furchtlos und bis zur eigenen Erschöpfung, die vielen Kranken und Sterbenden in ihrer Familie, ihrer Gemeinschaft, ja der ganzen Stadt. Matteo Cenni, der Leiter des Hospitals liegt selbst sterbend im Bett, als Katharina kommt, ihn energisch auffordert endlich aufzustehen und eine Weile schweigend über ihm betet. Später wird er sagen: er habe gespürt, wie während ihres Gebets das Fieber und die Schmerzen verschwanden.
Da ist eine Frau, die der Kraft des Gebetes wirklich vertraut. Die so fest und zuversichtlich mit Christus in Verbindung ist, dass ihr selbstverständlich ist, dass er helfen wird.
Ich bin mir sehr sicher, dass sich Gott zu jeder Zeit und in jeder Situation Menschen aussucht, die ihm vertrauen und mit seiner Kraft in ihrer Zeit das Gute und Notwendende tun.
Sr. Katharina Hartleib, Konvent San Damiano