Gedanken zum Tag – 29. April 2020, Mitt­woch der dritten Osterwoche

29. Apr. 2020

Es hat sie erwischt: mitten auf der Gasse, wo Menschen, Tiere und Wagen sich drängen. Auf dem Heimweg, vom Besuch ihrer älteren, verhei­ra­teten Schwester. Sie und ihr älterer Bruder Stefano. Sie bleibt da mitten im Gewühl wie ange­wur­zelt stehen und starrt nach oben, in Rich­tung der Kirche San Domi­nico. Vor ihren Augen ein präch­tiges Schau­spiel: ein herr­lich prunk­volles Zelt in könig­li­cher Pracht. Und im Zelt Jesus Christus, angetan mit päpst­li­chen Gewän­dern auf einem Thron sitzend. Katha­rina steht und schaut, schaut und staunt. Christus schaut sie an, lächelt ihr zu und segnet sie.

Die meisten von uns wären in solch einer Situa­tion wohl zutiefst erschro­cken. Man hätte Angst, da ein Trug- oder Wahn­bild vor Augen zu haben, oder dass es Hallu­zi­na­tionen seien, die man da habe. Und jeder würde hoffen, dass es niemand anderes gemerkt hätte. Und wir würden uns fürchten. Wer rechnet schon ernst­haft damit, Gottes Sohn so leib­haftig gegen­wärtig zu sehen. Auch Stefano erschrickt, weil er seine kleine Schwester so dastehen und nach oben starren sieht. Er rempelt sie an und versucht sie von da weg zu bringen. Und er fürchtet sich, weil sie so fremd und eigen­artig ist. Nur eine fürchtet sich nicht, weil sie fest genau mit dieser Gegen­wart Gottes in ihrem Leben rechnet: Katha­rina von Siena.

Sie ist 1347 ist eine wirre Zeit hinein­ge­boren. Die mittel­al­ter­liche Einheits­welt ist zerbro­chen. Das Papsttum hat sich zwar gegen­über dem Anspruch welt­li­cher Herr­scher behaupten können, aber nur um den Preis der Abhän­gig­keit von der fran­zö­si­schen Krone. In Siena wie in vielen anderen Städten gibt es den harten Wider­streit zwischen Papst­an­hän­gern und Gegnern, zwischen Adel und immer stärker werdendem Bürgertum. Die Zeit ist geprägt von Kriegen, schier unlös­baren Konflikten und Gewalt in fast allen Lebensbereichen.

Nur Katha­rina in ihrer Zeit, scheint keine Furcht zu kennen. Seit sie als Sieben­jäh­rige, das Bild des segnenden Christus gesehen hat, will sie nicht anderes mehr, als ihm allein nachfolgen.

Wie gern hätte so mancher von uns ein so klares Bild vor Augen, eine so klare Idee und Vision vom eigenen Lebensweg.

Doch so einfach ist es auch bei Katha­rina nicht. Ihre Mutter hat entschieden andere Pläne. Sie will sie gut verhei­raten und versorgt sehen. So lässt sie die eigene Tochter jahre­lang in ihrem großen Geschäfts­haus­halt als Magd arbeiten und schwerste Arbeiten machen, damit sie zur Vernunft kommen soll, wie sie meint. Katha­rina fügt sich, arbeitet am Tag in Haus und Hof, Küche und Keller und betet in der Nacht. Sie betet nachts, weil die Mönche, im nahe gele­genen Domi­ni­ka­ner­kloster dann schlafen. Sie fühlt sich schon so sehr als Domi­ni­ka­nerin, dass sie sie Gebete, die die Brüder am Tag verrichten, auch in der Nacht weiterführt.

Ihre Hart­nä­ckig­keit zeigt schließ­lich Erfolg und sie wird mit 16 Jahren in den dritten Orden des Hl. Domi­nikus aufgenommen.

Vielen Menschen heute fällt es schwerer eine Lebens­ent­schei­dung zu treffen. Sie fürchten, ihre Unab­hän­gig­keit zu verlieren, später nicht mehr die Möglich­keit zu haben, zwischen anderen Alter­na­tiven zu wählen oder auch, noch einmal ganz etwas anderes zu machen.

Aber auch diese Furcht kennt Katha­rina nicht. Nachdem sie drei Jahre frei­willig zurück­ge­zogen in einem Zimmer ihres Eltern­hauses gelebt hatte, verlässt sie plötz­lich entschlossen diese Zelle. Sie hatte das Wort Jesu gehört, nun hinaus­zu­gehen und in der Welt für ihn zu wirken.

Mit gleich gesinnten Brüdern aus dem Domi­ni­ka­ner­orden und Schwes­tern des dritten Ordens, ihrer „Familia“ wie sie sie nennen wird, macht sich Katha­rina auf und mischt sich ein in die tägliche Politik ihrer Stadt, der umlie­genden Städte Florenz und Pisa und später auch Rom, Avignon und weit darüber hinaus. Ihr ist der Frieden ein Anliegen. Nicht nur der Friede der auf dem Schweigen der Waffen beruht, sondern der Friede der entsteht, wenn Recht und Gerech­tig­keit herr­schen und das Evan­ge­lium Jesu der Maßstab des Handelns wird. Sie, das unge­bil­dete Mädchen, das kaum lesen und schreiben kann, diktiert im Laufe der Jahre unzäh­lige Briefe an Herzöge, Söld­ner­führer, Regie­rungen, Bischöfe, Fürsten und Kardi­näle. Über 380 ihrer flam­menden Briefe sind noch heute erhalten. Sie lässt sich nicht vom Druck der Verhält­nisse, von Sach­zwängen und scheinbar Unmög­li­chem beirren. Sie richtet sich nicht bequem ein in dem: „da kann man ja doch nichts machen“ sondern Katha­rina fühlt sich durch die Auffor­de­rung Christi, ihm in der Welt zu dienen, nicht nur zu einem unge­wöhn­li­chen Lebens­stil sondern auch zu poli­ti­schem Handeln ermächtigt.

Gele­gent­lich scheint es doch einmal so zu sein, dass sie, bei aller Furcht­lo­sig­keit, ein biss­chen Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hat. So erzählt sie ihrem treuen Begleiter Raimund von Capua, sie habe Christus vorge­halten, sie sei ja nur eine Frau die nicht predigen und nicht mit Männern gleich­be­rech­tigt umgehen dürfe. Darauf habe er ihr versi­chert, dass bei Gott nichts unmög­lich sei und dass er, seiner Gewohn­heit gemäß, das Starke mit dem Schwa­chen zu besiegen gedenke. (Cata­rina an Raimund von Capua)

Ihre Liebe zu Christus und somit zu seiner Kirche reicht soweit, dass sie es dann wieder furchtlos wagt, den Päpsten ihrer Zeit zu schreiben. Sie ermu­tigt ja sie fordert Gregor den XI. unmiss­ver­ständ­lich auf, aus der Abhän­gig­keit der fran­zö­si­schen Könige auszu­bre­chen und von Avignon nach Rom zurück zu kehren. Er solle endlich Kirche und Klerus refor­mieren und selbst damit beginnen, mehr das Evan­ge­lium zu leben, als sich in Kriege um die welt­liche Macht zu stürzen. Und Gregor weist sie nicht ab, berät sich immer häufiger mit ihr und fragt sie eines Tages vor dem versam­melten Kardi­nals­kol­le­gium, ob es wohl wirk­lich gut sei, nach Rom zurück­zu­kehren. Auf ihren Einwand, es stände ihr nicht zu einem Papst einen Rat zu geben erwi­dert er: „Ich bitte dich nicht, mich zu beraten sondern ich will, dass du mir in dieser Sache den Willen Gottes kund tust!“ (Prozess von Castello, S. 300)

Katha­rina ist nicht nur eine Frau starker und macht­voller Worte, sondern auch helfender, barm­her­ziger Tat. In einer der schweren Pest­epi­de­mien jener Jahre, von denen ihr geliebtes Siena heim­ge­sucht wird, pflegt sie furchtlos und bis zur eigenen Erschöp­fung, die vielen Kranken und Ster­benden in ihrer Familie, ihrer Gemein­schaft, ja der ganzen Stadt. Matteo Cenni, der Leiter des Hospi­tals liegt selbst ster­bend im Bett, als Katha­rina kommt, ihn ener­gisch auffor­dert endlich aufzu­stehen und eine Weile schwei­gend über ihm betet. Später wird er sagen: er habe gespürt, wie während ihres Gebets das Fieber und die Schmerzen verschwanden.

Da ist eine Frau, die der Kraft des Gebetes wirk­lich vertraut. Die so fest und zuver­sicht­lich mit Christus in Verbin­dung ist, dass ihr selbst­ver­ständ­lich ist, dass er helfen wird.

Ich bin mir sehr sicher, dass sich Gott zu jeder Zeit und in jeder Situa­tion Menschen aussucht, die ihm vertrauen und mit seiner Kraft in ihrer Zeit das Gute und Notwen­dende tun.

Sr. Katha­rina Hart­leib, Konvent San Damiano

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