Gedanken zum Tag – 27. Juni 2021, 13. Sonntag im Jahreskreis

27. Juni 2021

Als Menschen sind wir bild­hafte Wesen. Unsere Vorstel­lungen sind phan­tas­tisch, unsere Sprache voller Analo­gien und Beschrei­bungen. Erin­ne­rung errichten wir intuitiv bild­haft und viele Menschen sind als Spielart der Natur in der Lage, ganz unter­schied­liche Sinnes­mo­da­li­täten verflochten wahr­zu­nehmen. Ein Grün als warm zu fühlen oder Töne als Farbe zu „sehen“ wird da fach­lich als Synäs­thesie bezeichnet.

Was sich unserer Wahr­neh­mung nicht erschließt, was unvor­stellbar scheint, das liegt uns dennoch zumeist fern. Im Schnee zu frieren und mir vorzu­stellen, dass wenige Monate später eine Klima­an­lage ein wünschens­werter Luxus ist, das fällt mir regel­haft schwer. Zum ersten Mal mit Freunden wieder gemeinsam in einem Restau­rant essen zu gehen, war lange ein solcher unvor­stell­barer Luxus und wird langsam wieder ein Stück schöne Normalität.

Sich Bilder von unvor­stell­barem zu machen, sich auf Dinge vorzu­be­reiten, die nicht grade aktuell oder greifbar sind, gehört zu den wich­tigen Eigen­schaften, die uns zu Erfin­dern und Planern macht. Als Menschen sind wir nicht zuletzt deshalb so erfolg­reich in vielen Aspekten unseres Tuns und haben dennoch so große Schwie­rig­keiten in der Bewäl­ti­gung von komplexen, eher schwer greif­baren Dingen.

Die Schwie­rig­keit an solchen Bildern, an Gedan­ken­mo­dellen ist nur oft, dass sie mit der Realität nichts zu tun haben müssen. In kriti­schen Momenten können solche Abwei­chungen zwischen Vorstel­lung und Realität, aber auch unter­schied­liche Vorstel­lungen von der Realität im glei­chen Team zu Gefahren führen. So fällt man bei Fixie­rungs­feh­lern gerne auf Teil­wahr­neh­mungen herein und blendet andere Infor­ma­tionen, die nicht der gefassten Meinung entspre­chen aus. Bei diver­gie­renden mentalen Modellen stellen sich Personen ganz unter­schied­liche Dinge vor, und man bekommt im Lokal auf einmal ein Weizen, wenn man ein Bier bestellt. In Hoch­ri­si­ko­be­rei­chen mit hohem Anspruch an die System­si­cher­heit (von der Flug­si­cher­heit bis in die Medizin) werden deshalb konti­nu­ier­lich Stra­te­gien entwi­ckelt, um solche „Fehler der Bilder“ zu verhin­dern oder zu erkennen.

Das Bild­nis­verbot des Alten Testa­ments möchte uns nicht vor so offen­sicht­li­chen Fehlern warnen. Kultur­ge­schicht­lich wird es gern als Grund­lage der Entwick­lung zur „Reli­gion des Buches“ gedeutet. Weg von einfa­chen, bild­haften, greif­baren Gedanken und hin zu einer abstrakten Glau­bens­welt. Immer wieder zog das Gebot „Du sollst Dir kein Bild machen“ auch Bilder­stürme, also gewalt­same Vernich­tungen einer Viel­zahl von bild­haften Darstel­lungen nach sich. Vom byzan­ti­ni­schen Bilder­sturm bis zur Vernich­tung von Welt­kul­tur­erbe durch isla­mi­sche Funda­men­ta­listen. Dabei möchte uns dieses Bild­nis­verbot doch nur davor warnen, uns selbst mit zu einfa­chen Darstel­lungen zu täuschen, es uns zu einfach zu machen. Ange­fangen von einem Gott, der sich nicht in eine einfache, stati­sche Form pressen lässt. Und weiter über sein selbst geschaf­fenes Abbild, den Menschen. Einem verein­fa­chenden Stereotyp von „dem Mann“, „der Frau“, „dem Deut­schen“ entzieht sich die Viel­schich­tig­keit unserer Selbst und unseres Gegen­übers nur zu schnell. So wie uns auch vertraute Menschen immer wieder erstaunen können.

Wenn also mal irgendwo ein Bild auftaucht, viel­leicht neu, viel­leicht unge­wohnt, dann scheint es mir richtig, es zunächst zu betrachten und es in mein Bild von der Welt einzu­reihen. Gefallen muss es mir ja nicht. Aber jedes Bild hat seinen Platz als Teil einer viel­fäl­tigen Welt.

„Und endlich erkannte der Federmann,
dass man nie einen Apfel beschreiben kann.
Von da an ließ er es bleiben,
die Wirk­lich­keit zu beschreiben.
Er begnügte sich indessen
damit, den Apfel zu essen.“

Michael Ende

Dr. Matthias Danz
(St.-Martinus-Hospital)

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