“Mama, jetzt atme doch mal!” — stimmt, da war ja was!
Im Alltag gehen einige Dinge schonmal unter vor lauter Terminen und Zeitfenstern, die eingehalten werden und vor Erledigungen (Kühlschrank befüllen, Garten richten usw.), die gemacht werden müssen. In dem “Müssen” sind die vielen kleinen ganz normalen Verpflichtungen versteckt, die unseren Alltag zu einem guten Anteil mit strukturieren — ganz besonders, wenn Kinder da sind und die Zeiten von Kindergarten und Schule zusätzlich das laufende Alltagsrad speisen. Und wenn das “Müssen” mal wegfällt zu Gunsten eines “Können” oder “Wollen” widme ich mich sehr oft den Dingen, die liegen geblieben oder aufgeschoben worden sind. Die bestehen natürlich auch aus schönen Dingen, wie ein gemeinsames Frühstück oder ein Waldspaziergang, eine Runde Sport oder auch mal das Lesen eines Buches. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass mich einige Dinge, die mir guttun “sollen”, irgendwie doch auch eher zu Freizeitstress werden. Und dass, obwohl Sport gesund ist und Endorphine (bitte sofort) freisetzt; obwohl ich drei Stunden frei habe für ein gemeinsames Frühstück mit meiner Freundin, die trotzdem noch zu kurz sind — denn dann muss jede von uns zurück in ihr Hamsterrad; obwohl das Lesen mich entspannt. So sehr, dass ich meistens vor Müdigkeit einschlafe und die Entspannung gar nicht bemerke.
Plötzlich steht da eines meiner Kinder vor mir und sagt mit einer Selbstverständlichkeit: “Mama, jetzt atme doch mal!”. Ach ja, das Atmen. Das tun wir doch alle, das können wir zum Glück nicht vergessen (Danke an meinen Körper, dass meine Reflexe funktionieren).
Oft atmen wir aber doch eher so, dass wir uns die mögliche Tiefe und ihren positiven Effekt gar nicht bewusst machen. Wie oft halten wir den Atem an vor Anspannung? Wie oft atmen wir flach, weil wir in Eile sind? Und beißen dann am besten auch noch die Zähne zusammen. Daher kommen die vielen Sprichwörter, die mit Atmung und Zähnen zu tun haben: Sich durchbeißen, die Luft anhalten, Zähne zeigen, etwas wie die Luft zum Atmen brauchen, auf dem Zahnfleisch gehen, sich Luft verschaffen.
Ich habe mich in dem Moment, in dem mich mein Kind an etwas so Grundlegendes erinnert hat, bewusst — und das ist wichtig! — hingesetzt und mehrmals tief in den Bauch geatmet. Mein Körper, dem ich es schulde, dass ich mir Zeit für ihn nehme, denn er kann nur in diesem einen Moment und nicht im Gestern oder im Morgen leben, wird ruhiger. Die bewusste Atmung drosselt auch die Aktivität meines Geistes und nimmt mir die hitzigen hektischen Gedanken, dass ich etwas vielleicht heute nicht schaffen könnte. Ich sitze also da und atme. Und mein Kind schaut mir ins Gesicht und beginnt zu grinsen: “Mama, du siehst jetzt viel fröhlicher aus. Sind deine Sorgen jetzt weggeatmet?”
Ob es Sorgen sind, die mich beschäftigen, sei mal dahingestellt, aber sicherlich entspannen sich meine Gedanken und damit auch meine Mimik und Körperhaltung. Ruhe stellt sich ein und auf einmal kommt mir die Idee, dass es vielleicht auch gar nicht so schlimm ist, wenn ich nicht alles heute schaffe. Dann schaffe ich den Rest eben zu einem anderen Zeitpunkt.
Das Atmen erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dass wir auf uns hören, dass wir uns Zeit nehmen — heute, jetzt. Denn wir leben nur im Jetzt. Wie wichtig es ist, einen bewussten Umgang mit uns in Worten, Gedanken und mit unserem Körper zu finden. Sich auf sich selbst zu besinnen, innezuhalten. Auch wenn das manchmal mehr als schwerfällt, denn wir alle haben ihn, diesen Alltag. Dass tiefes Atmen Ressourcen mobilisiert, dass wir Kraft aus etwas so Einfachem, Selbstverständlichem und Natürlichem schöpfen dürfen, jederzeit und überall, sollte uns ein wenig in Demut versetzen. Wir sind, weil wir atmen. Das ist das erste, das wir tun, wenn wir auf diese Welt kommen.
Besonders gut lässt es sich draußen im Sonnenschein in diesem wunderbaren Herbst bei Blätterrascheln und einem frischen Wind um die Nase atmen und genießen. Wir können durch das Atmen so einfach so viel Gutes für uns tun.
Anke Koch
(Gemeindemitglied aus Olpe)
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