Liebe Leserinnen und Leser!
Jeder Tag eines Kirchenjahres ist dem Gedächtnis eines Heiligen geweiht. Was ist ein Heiliger? Ein Heiliger ist ein Ratgeber für eine sinnvolle Lebensgestaltung, ein Vorbild für den Glauben, ein Wegweiser auf meinem Weg des Suchens nach Gott.
Am heutigen 9. August ist die hl. Edith Stein (1891–1942) unsere Ratgeberin. Papst Johannes Paul II. (selbst ein Heiliger) beurteilte ihren Lebens- und Glaubensweg als so bedeutsam, dass er sie 1999, also ein Jahr nach ihrer Heiligsprechung, zur Patronin Europas erhob. Warum tat er dies? Weil sie uns in dreifacher Weise ein leuchtendes Vorbild sein kann: im Fasziniert sein, im Lesen und im Glauben.
1. Fasziniert sein
Faszination ist der Motor eines jeden Lernprozesses. Überlegen Sie einmal in einem kurzen Moment, was Sie in Ihrer Jugend fasziniert hat und was Sie aufgrund dessen erreicht haben: Ihren Beruf? Eine Fremdsprache? Ein Musikinstrument? Was fasziniert Sie heute? Was könnten Sie also in Zukunft noch erreichen?
Die 1891 in eine jüdische Familie in Breslau hineingeborene spätere Märtyrerin war fasziniert von der Welt, ihrer Schönheit und Vollkommenheit. Also studierte sie Philosophie – und hoffte, dadurch die in ihr brennende Frage „Was ist Wahrheit?“ beantworten zu können. Trotz (oder gerade wegen) ihres Fachwissens und ihres 1916 erlangten Doktortitels war ihr schnell klar, dass sich ihre drängende Frage durch die Philosophie allein nicht beantworten lässt.
Ein bemerkenswertes Ereignis sollte schließlich alles ändern. Als sie nach dem Tod eines Freundes dessen Witwe trösten wollte, erlebte sie, dass diese Frau im katholischen Glauben so viel Trost fand, dass sie selbst ihr, der atheistischen Philosophin, noch Trost zu geben vermochte. Edith Stein war zutiefst fasziniert: Warum kann man angesichts von Leid und Tod Hoffnung haben und Trost spenden? Der Sache musste sie auf den Grund gehen.
2. Lesen
In einer Bibliothek stieß sie schließlich auf ein Buch mit dem Titel „Leben der hl. Theresa von Avila“, das sie regelrecht verschlang. Ihren Leseprozess kommentierte Edith Stein so: „Ich begann zu lesen, war sofort gefangen und hörte nicht mehr auf bis zum Ende. Als ich das Buch schloss, sagte ich mir: „Das ist die Wahrheit!“ Und so kam sie zu der bemerkenswerten Feststellung: „Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“ Welch geniale Erkenntnis! Welch prophetisches Wort!
Edith Stein hatte also durch dieses literarische Werk, durch ihre Ratgeberin, die hl. Theresa von Avila, endlich das gefunden, wonach sie lange gesucht hatte. Natürlich war dieses Buch erst der Anfang; noch viele weitere Bücher sollten ihr zu wichtigen Lebensbegleitern werden.
Sich Glaubenswissen anzueignen, ist eines der größten Gebote der Stunde. Wir müssen unbedingt mehr lesen! Genau das rät uns die hl. Edith Stein. Überlegen Sie einmal in einem kurzen Moment, welches theologische Buch Sie zuletzt gelesen haben. Sollten Sie sich gerade nicht erinnern können – macht nichts, nehmen Sie sich eins vor: Wie wäre es z. B. mit dem „Leben der hl. Theresa von Avila“? Oder mit der „Kurzen Einführung in das Christentum“ von Manfred Lütz? Oder mit „Eucharistie. Liturgische Feier und theologische Erschließung“ von Martin Stuflesser? Oder „Die Bibel hat recht“ von Michael Hesemann? Auch wenn es Ihnen „nur“ gelingt, fünf Seiten pro Tag zu lesen – dann herzlichen Glückwunsch! Auch diesbezüglich ist die hl. Edith Stein nämlich eine gute Ratgeberin: „Mit dir selbst hab Geduld – Gott hat sie auch.“
3. Glauben
Edith Steins Antwort auf ihre Erkenntnisse war der Glaube. Was heißt glauben? Eine Übersetzungsmöglichkeit dieses leider vielfach missverstandenen Wortes ergibt sich aus dem Lateinischen: Glauben heißt dort credere, was durch cor dare entstanden ist und mit Herz schenken übersetzt werden kann. Genau das tat Edith Stein ganzheitlich: Sie ließ sich 1922 als 30-Jährige taufen und trat 1933 in den Kölner Karmel ein, wo sie den Ordensnamen „Theresa Benedicta a Cruce“ (Theresa, die vom Kreuz Gesegnete) erhielt. Diese Herzschenkung, dieser Glaube gab ihr sogar im KZ Auschwitz solche Kraft, dass sie angesichts entsetzlichsten Grauens sagen konnte: „Jesus ist auch hier mitten unter uns.“ Welch unfassbare Aussage!
Liebe Leserinnen und Leser, nehmen wir uns also die hl. Edith Stein zum Vorbild und lassen wir sie unsere Ratgeberin und Wegweiserin sein – am besten nicht nur heute an ihrem Festtag. Ich bin mir sicher, dass wir durch Heilige wie sie neu lernen können, Gott zu suchen, ihn zu finden und ihm unser Herz zu schenken.
In diesem Sinne: Bleiben wir fasziniert! Bleiben wir aufrechte Sucher nach der Wahrheit und nach Gott! Seien wir belesen! Und bleiben – oder werden wir vernünftig Glaubende!
Thomas Maiworm
(Organist im Pastoralen Raum Olpe-Kirchspiel Drolshagen)