„Pilgern um die Ecke“
Vor einigen Jahren bin ich nach langem Weg, erschöpft aber glücklich, über den Camino Primitivo in Santiago angekommen. Nach einer bewegenden Messe und Besuch des Jakob-Grabes glaubte ich am Ziel meiner Pilgerreise zu sein. Beim Verlassen der Kathedrale wurde ich allerdings auf ein Zeichen am Südportal aufmerksam, das mich bis heute nicht loslässt: Das gelegentlich anzutreffende christliche Symbol „Alpha und Omega“ aus dem griechischen Alphabet steht für Anfang und Ende und für das Allumfassende, für Jesus Christus.
Hier stand aber das Omega zuerst und dann kam das Alpha. Was hatte das zu bedeuten? In der Erklärung war mein Weg noch lange nicht zu Ende, denn das Ende des Weges (Omega) ist für den Pilger immer auch ein neuer Anfang (Alpha).
An einem sonnigen Herbstwochenende bot sich mir beim „Pilgern um die Ecke“ erneut die Gelegenheit, mich auf den Weg zu machen, die Kraft der Natur zu spüren, freundschaftliche Begegnungen in der Gruppe zu erleben, aber auch Momente der Stille auf mich wirken zu lassen.
Auf dem Weg von der Marienkirche über Fahlenscheid, Einsiedelei, Hohe Bracht zur Eucharistiefeier und Übernachtung im Jugendhof „Maria Königin“ und am nächsten Morgen weiter auf Höhenwegen Richtung Bonzel, Grevenbrück bis Heggen, begleiteten uns Texte von Frauen des Alten und Neuen Testaments. Es handelte sich um Frauen, die trotz ihrer damaligen benachteiligten gesellschaftlichen Stellung und mancher Rückschläge im Leben, nicht verzweifelt und verbittert wurden, sondern selbstbewusst und zuversichtlich ihren Weg gingen, weil Gott sie auf ganz unterschiedliche Weise beachtet, hervorgerufen und gestärkt hat.
Die Geschichte von Noomi und Rut hat mich dabei besonders berührt. Beide Frauen haben ihre Männer verloren, meistern aber ihr Schicksal im Vertrauen auf Gott, der ihr Handeln bestimmt. Noomi hält trotz ihrer Traurigkeit und Enttäuschung an Gott fest. Sie ist ihrer Schwiegertochter Rut liebevoll zugewandt, will sie aber zunächst nicht mit zurück in ihre Heimat nehmen, weil sie befürchtet, dass Rut dort als Ausländerin zurückgewiesen wird. Rut aber will bei ihr bleiben und begleitet Noomi entschlossen auf ihrem Weg, obwohl dieser in die Fremde und eine unsichere Zukunft führt. Rut lässt sich voller Hoffnung und Zuversicht auf Noomi ein, sorgt sich um sie und findet schließlich eine neue Heimat und über Noomi auch die Nähe zu Gott:
„Wohin du gehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“ (Rut 1, 16)
Die Erzählungen, Gebete und Lieder auf dem Weg gaben mir wertvolle Impulse für ein christliches Verständnis und Handeln. Unterwegs bin ich offenen und fröhlichen Menschen begegnet, habe das Vertrauen in der Gemeinschaft gespürt und eine lebendige Kirche erfahren, die mich ermutigt, immer wieder aufs Neue nach Gottes Wegen zu fragen.
Herzlichen Dank an Sr. Gertrudis Lüneborg und Barbara Clemens für die großartige Vorbereitung und Begleitung zum „Pilgern um die Ecke“ auf Einladung der Pastoralverbünde Olpe/Drolshagen und Wendener Land.
Ulrike Beckmann