win Neuenkle­us­heim Wer sich der Wald­ka­pelle in der Beis­micke nähert, hört bei Wind­stille schon lange, bevor er das kleine Gottes­haus erblickt, Glocken. Drei an der Zahl sind es, sie werden vom Über­lauf der abge­sof­fenen Grube „Schwarz-Rot-Gold“ ange­trieben und haben schon unzäh­lige Menschen bei Besin­nung und Gebet begleitet. Für die Menschen aus Neuenkle­us­heim und den umlie­genden Dörfern, aber auch vielen regel­mä­ßigen Besu­cher aus weiterer Umge­bung ist die Kapelle in der Beis­micke ein begehrter Wall­fahrtsort. Es ist 75 Jahre her, dass die Pläne zum Bau dieser Kirche entstanden – in den bewegten Zeiten in den letzten Tagen vor und den ersten Tagen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Dieser hatte Neuenkle­us­heim zwar getroffen, aber im Vergleich zu vielen anderen Ortschaften war das Dorf vergleichs­weise unbe­schadet aus dem Krieg hervor­ge­gangen. Dabei hätte es auch ganz anders kommen können – im Zuge des Kampfs um den Ruhr­kessel war Neuenkle­us­heim ab dem 20. März Haupt­quar­tier von Gene­ral­feld­mar­schall Walter Model, dem Ober­be­fehls­haber der Heeres­gruppe B. Die versteckte Lage von Neuenkle­us­heim zwischen mehreren Berg­rü­cken erfüllte den Zweck, den sich „Hitlers Feuer­wehr­mann“ erhofft hatte – er und sein Stab blieben von den Alli­ierten unent­deckt. Rund zwei Wochen blieb Model, bis er nach Rhode weiterzog – wäre er entdeckt worden, das Dorf wäre wohl im Feuer­sturm von Bombern und Geschützen untergegangen.

So aber blieben die Schäden über­schaubar: Natür­lich schlugen auch hier Granaten ein, Tief­flieger schossen zwei Doppel­häuser in Brand, ein Dorf­be­wohner und zwei deut­sche Soldaten starben. Doch waren diese Folgen im Vergleich mit dem, was anderswo in den letzten Kriegs­tagen geschah, gering.

Und so lag es nahe, dass die Idee des Orts­pfar­rers auf frucht­baren Boden fiel. Moritz Strawe war ein Mensch, der den Krieg selbst erlebt hatte – als Offi­zier einer kämp­fenden Einheit im Ersten Welt­krieg. Dies hatte ihn zum ener­gi­schen Nazi-Gegner werden lassen. An seinem früheren Wirkungsort Hill­micke hat Strawe schon dies­be­züg­lich Spuren hinter­lassen: Auf seine Initia­tive hin war in der unter seiner Ägide gebauten Kirche eine Krie­ger­ka­pelle errichtet worden, die heutige Beicht­ka­pelle. Die Gedenk­ta­feln befinden sich heute an der Toten­ka­pelle. Und er ließ für jeden im Ersten Welt­krieg gefal­lenen Hill­mi­cker Soldaten einen Baum am Friedhof pflanzen – 16 waren es, die meisten stehen heute noch.

In Neuenkle­us­heim gab es bereits einen Ort, den viele Söhne und Töchter des Dorfs als Anlauf­stelle in geist­li­chen Anliegen kannten: Auf einer Abraum­halde der still­ge­legten Grube hatte bereits 1936 Anton Demer­ling („Erlen“) ein Bild­stöck­chen aufge­stellt, um die Mutter Gottes zu ehren. Einige Jahre später hatten die Brüder Hein­rich und Johann Kleine („Strautzes“), die es nach Neuss bzw. Köln verschlagen hatte, die ihr Heimat­dorf aber regel­mäßig besuchten, eine stei­nerne Grotte mit einem Mari­en­bild an dieser Stelle errichtet, die damals noch mit hohen Buchen bewachsen war. Auch hatten die Brüder hier ein erstes Wasserrad gebaut, das ein Glöck­chen zum Klingen brachte. Dieser Ort, so fand Strawe, sei der rich­tige, um eine Kapelle zu errichten als Zeichen des Dankes, dass der Krieg den Ort weit­ge­hend verschont hatte.

Gesagt, getan. Ohne Aufhe­bens um Geneh­mi­gungen zu machen, begann Strawe mit einigen Helfern in diesen Tagen vor 75 Jahren mit der Vorbe­rei­tung des Baues. Der Grund­stein wurde am 24. Juli gesetzt. Dieser war kein gewöhn­li­cher Grund­stein, sondern ein Futter­trog, der jahre­lang hinter dem Neuenkle­us­heimer Pfarr­haus gestanden hatte.

Dies sollte sich noch als glück­liche Fügung erweisen: 1988 fiel dem Neuenkle­us­heimer Josef Wurm die selt­same Form des Grund­steins auf, in den die Zahl 1945 einge­graben ist. Der Stein wurde frei­ge­legt, und im Hohl­raum fand sich eine Asphalt­rolle, die mehr schlecht als recht eine Urkunde geschützt hatte. Diese wurde kopiert und nun, in einer Flasche versie­gelt, wieder in den Grund­stein zurück­ge­legt. Die Kopie hängt heute gerahmt in der Kapelle. Strawe hat darauf die Namen seiner Helfer fest­ge­halten, allen voran Peter Kleine, und erklärt: „Zum Dank für gnädigen Schutz (…) wurde nach glück­li­cher Erret­tung aus Kriegsnot und aus den Händen der Henker des soge­nannten Dritten Reiches dieses Heiligtum der Gottes­mutter (…) mit Gebet der erste Stein gelegt (…).“

Die Armut der Nach­kriegs­zeit und die Tatsache, dass viele Schäden an Häusern, Fabriken, Höfen und Kirchen zu besei­tigen waren, ließen zwei Jahre ins Land ziehen, bis die Kapelle geweiht werden konnte. Der Rohbau war schon im Herbst 1945 gerichtet worden, im Winter ruhten die Arbeiten, doch am 6. Juli 1947 war es soweit: Unter großer Teil­nahme der Bevöl­ke­rung nahm Strawe die Bene­dik­tion der Kapelle vor.

Schon 1952 befand der dama­lige Land­kreis Olpe, die Umge­bung des Wall­fahrts­orts sei absolut erhal­tens­wert, der Buchen­be­stand solle erhalten bleiben. Doch nach einigen Jahren waren mehrere der Buchen erkrankt, sodass die Kapelle frei­ge­schlagen werden musste. Was viele zuerst befürchtet hatten, erwies sich als Glücks­fall: Durch das Fällen der Bäume entstand eine Lich­tung, auf der die Kapelle steht, als wäre es immer so geplant gewesen. Auch sorgte das Frei­schlagen dafür, dass die Feuchte des nassen Bodens besser aus dem Mauer­werk entwei­chen konnte. Dennoch musste die Kapelle mehr­fach saniert werden, zuletzt 2017 vom aus Olpe stam­menden Restau­rator und Kirchen­maler Markus Schmidt. Seitdem ist die Kapelle wieder das, was sie nach dem Wunsch ihrer Erbauer sein sollte: ein Rück­zugsort, ein Platz der Stille und inneren Einkehr. Die Kapelle in der Beis­micke ist einer von mehreren Orten, den auch kirchen­ferne Menschen gern nutzen, um mit sich oder Gott ins Reine zu kommen – auch und gerade in Zeiten der Corona-Krise.

Diese wiederum sorgt dafür, dass es keine geson­derten Feiern zum 75. Jahrestag der Grund­stein­le­gung geben wird – die Neuenkle­us­heimer um Orts­vor­steher Hans-Jürgen Dienstuhl hoffen, dass dafür in zwei Jahren der 75. Tag der Einwei­hung umso größer begangen werden kann.

Quelle: Text und Bilder Siegener Zeitung vom 30.05.2020

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