Heinrich Bone
Heinrich Bone
In Drolshagen haben wir die “Heinrich Bone Straße” und wer sich in unserer Gemeinde ein Buch ausleihen möchte, macht das in der “Buchstube Heinrich Bone”. Aber wer war dieser Mann eigentlich und was hat er mit Drolshagen zu tun?
Foto: Heinrich Bone als Professor in Mainz.
„Kumm Heinrich, loffe in de Misse gohn!“ sagte mein Oppa früher häufig zu mir. Vor allen in den Monaten vor und nach meiner Erstkommunion im April 1967 erging diese Aufforderung auch schon mal mit etwas Nachdruck, vor allem in den Schulferien. Er selbst, 67 Jahre älter als ich, verpasste in seinen letzten Lebensjahren so gut wie keine Werktagsmesse, hatte in der dritten Bankreihe auf der „Männerseite“ seinen Stammplatz, so wie alle anderen älteren Leute auch. Deutlich erinnere ich mich daran, dass er mich hin und wieder während des Orgelvorspiels anstupste und mit dem Finger auf den kleinen Eintrag unterhalb des zu singenden Kirchenliedes im „Sursum Corda“, dem damals gebräuchlichen Gesangbuch, zeigte: „T: Heinrich Bone, Drolshagen“, stand da. Der Name Heinrich Bone war mir geläufig, schließlich wohnten einige meiner Klassenkameraden in der damals noch jungen Straße am Herrnscheid, die diesen Namen trug, und in der Annostraße gab es den „Gasthof Bone“ (das heutige Drolshagener Heimathaus), wenn auch die Wirtsfamilie Alterauge hieß und das Lokal in Drolshagen von allen nur „Baronn“ genannt wurde.
Wer war also dieser Mann aus Drolshagen, dessen Namenstag (früher der 15. Juli, etwa ab 1975 der 13. Juli) mit meinem zusammenfiel, was mich durchaus mit Stolz erfüllte? Im Heimatkunde-Unterricht bei Frl. Wibbeke lernte ich: Heinrich Bone war ein bedeutender, aus Drolshagen stammender Pädagoge, Philologe, Übersetzer, Dichter, Schriftsteller und Herausgeber wichtiger Schul- und Kirchengesangbücher. Er wurde ein Opfer des Kulturkampfes. Seine wichtigsten Bücher waren das „Deutsche Lesebuch“ (1840), das weite Verbreitung an den Gymnasien Deutschlands, Luxemburgs, Belgiens und Österreich fand und das katholische Gesangbuch „Cantate“ (1847), in dem zahlreiche, von ihm verfasste Kirchenlieder zu finden sind, die bis heute gesungen werden.
Dabei stammte Heinrich Bone aus bescheidenen Verhältnissen: Geboren wurde er am 25. September 1813 als ältestes von sechs (das Babyalter überlebenden) Kindern der Land- und Gastwirtfamilie Matthias Bone (1782–1857) und seiner Frau Maria Elisabeth, geb. Kramer (1793 – 1848). Sein Urgroßvater Johann Peter Bone stammte aus Much im Rheinland und war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Drolshagen sesshaft geworden. Sein Elternhaus stand in der Nähe des Rosebachs in der kleinen, damals noch von einer dicken Wehrmauer umgebenen Stadt. Es wurde, wie praktisch alle Häuser Drolshagens, am 10. Mai 1838 ein Raub der Flammen. In seiner Erzählung „Der Pflaumenbaum“, die Eingang in sein „Deutsches Lesebuch“ gefunden hat, beschreibt er den Ort seiner Kindheit: „Dicht an der Hintertür unseres Hauses steht ein Pflaumenbaum… Unter den herabhängenden Ästen habe ich am Stamme des Baumes einen kleinen Rasensitz gemacht; da ist es im Sommer schattig und kühl; manches Stündchen verbringe ich dort mit meinen Büchern. Meine Mutter ist indes in der Küche beschäftigt und kann durch die geöffnete Obertüre mit mir sprechen.“ Schon bald nach der Einschulung bemerkten der Zwergschulleiter und der damalige Pfarrer Mambau die hohe Intelligenz und das besondere sprachliche Talent des kleinen Heinrich. Vermutlich hatte Pastor Mambau ihm bereits privat Lateinunterricht gegeben, bevor er als dreizehnjähriger auf das Progymnasium in Attendorn und später an das Gymnasium Laurentianum in Arnsberg wechselte. Die letzte Gymnasialklasse absolvierte er schließlich (1830/1831) am angesehenen „Petrinum“ in Recklinghausen, dessen aus Sallinghausen bei Eslohe stammender Leiter Franz Wüllner einen tiefen Eindruck auf den jungen Bone machte. Wüllner wiederum erkannte die besonderen Fähigkeiten des jungen Mannes aus Drolshagen und gewährte diesem schon bald nach dessen Ankunft freundschaftliche Aufnahme in seinem Privathaus.
Obwohl Heinrich Bone Drolshagen schon mit 13 Jahren verlassen hatte, verband ihn bis an sein Lebensende eine innige Zuneigung zu seiner Heimatstadt und zu seiner Taufkirche. So schreibt er in seiner ebenfalls im „Deutschen Lesebuch“ veröffentlichten Erzählung „Der Fußpfad“ in Anspielung auf das hohe Alter der Sankt Clemensbasilika: „Aus unserem Wohnhause komme ich zuerst an der Kirche vorbei, die am äußersten Ende des Ortes liegt; dort stehe ich gewöhnlich still und betrachte das altertümliche Gebäude, das ehemals ein Heidentempel gewesen sein soll… Auf der anderen Seite (des Fuhrwegs) steht das Schulhaus mit seinem Türmchen, dessen Glöcklein ich oft gezogen habe (Drolshagens erste Schule befand sich in einem Vorgänger- bzw. Anbau der Kreuzkapelle in der heutigen Annostraße). Von hier beginnt der eigentliche Fußpfad (nach Siebringhausen)…“
Nach dem Abitur studierte Heinrich ab 1832 Philologie und Sprachen in Bonn, wo er im Sommer 1835, gerade einmal 21 Jahre alt, das Staatsexamen für das höhere Lehramt mit Auszeichnung ablegte. Sein Probejahr verbrachte er am königlichen Gymnasium in Düsseldorf, dem heutigen Görres-Gymnasium, das inzwischen von seinem väterlichen Freund Franz Wüllner geleitet wurde. Hier fand er schon bald Zugang zu einem illustren Kreis von Künstlern und Gelehrten, die das geistige Leben in Düsseldorf bestimmten, darunter den damals sehr populären Porträtmaler Theodor Hildebrandt sowie den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, der in jenen Jahren als Musikdirektor in Düsseldorf fungierte. Dort traf er auch seine spätere Frau Christine Schmitz aus Köln, eine begabte Pianistin, die häufig im Duo mit Mendelssohn oder später mit Max Bruch musizierte. 1839 wechselte Bone an das Marcellen-Gymnasium in Köln, das heutige Dreikönigsgymnasium. 1840 heiratete er, 27-jährig, in Köln Christine Schmitz, die zusammen mit ihren Schwestern dort eine „Höhere Töchterschule“ leitete. Aus der Ehe gingen acht Kinder hervor, von denen sechs das Kleinkindalter überlebten.
Noch im Jahre 1840 erscheint Bones „Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten“, das insgesamt 67 Auflagen (a 3000 Exemplaren!) erleben sollte. Noch größere Bedeutung erlangte Heinrich Bone aber durch seine Kirchengesangsbücher, insbesondere das „Cantate“, das zwischen 1847 und 1879 in sieben Auflagen erschien und erstmals in zahlreichen deutschsprachigen Bistümern zu dem allgemein gebräuchlichen katholischen Gesangbuch wurde. Einen wichtigen Impuls für das Verfassen des „Cantate“ gab offensichtlich der „Drolshagener Gesangbuchstreit“ in Bones Heimatpfarrei, bei dem sich zwei Gruppen, eine fortschrittliche um den damaligen Bürgermeister Carl Stachelscheid und eine konservative um die acht Kirchenchorsänger, darunter auch Heinrich Bones Bruder, jahrelang wegen der Einführung verschiedener Gesangbücher bekriegten. Der Streit ging so weit, dass während der Feier der Heiligen Messe von den zwei verfeindeten Gruppen gleichzeitig jeweils verschiedene Lieder angestimmt wurden. Im Vorwort zu seinem „Cantate“ stellt Bone klar: „Die alten Lieder alle wörtlich wieder aufzunehmen, geht nicht an; manches in Sprache und Färbung ist nun einmal der jetzigen Schulbildung entfremdet. Einziger Weg zum Rechten kann nur der historische sein. Alte Lieder mit treuer Anhänglichkeit und nach notwendigen Anforderungen umzugestalten, war auch in alten Zeiten schon oft Sitte und Bedürfnis. Sollen neue Lieder hinzukommen (und warum sollte das nicht geschehen?), so werden auch sie am besten gedeihen, wenn sie in einem liebevollen Studium des Alten wurzeln…“ So hat Heinrich Bone unzählige jahrhundertealte Hymnen erforscht und viele davon zur Grundlage seiner deutschsprachigen Lieder gemacht. Das bekannteste Werk dürfte dabei seine Text- und Melodiefassung des „Te Deum“-Hymnus´ sein, die als „Großer Gott, wir loben Dich“ bis heute von Katholiken und Protestanten gleichermaßen bei feierlichen Anlässen angestimmt wird, wobei sich seine Frau Christine als Musikerin im Hinblick auf die großartige und feierliche Melodie sicherlich genau so viele Verdienste erworben haben dürfte.
In Bones Liedern spiegelt sich fortwährend sein ausgeprägtes Sprachgefühl und seine große Begabung, lateinische Hymnen fast wörtlich in die deutsche Sprache zu übertragen und dabei gleichzeitig das vorgegebene Versmaß und das Reimschema beizubehalten. Als Beispiel sei
das Lied „Omni die dic Mariae“ aufgeführt, das ursprünglich aus dem frühen 12. Jahrhundert stammt:
Omni die dic Mariae | Alle Tage sing und sage |
Bernardus Morlanensis (um 1140) | Heinrich Bone (um 1847) |
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Bones besondere pädagogische Fähigkeiten würdigte Jahrzehnte später sein ehemaliger Schüler am Kölner Marcellen-Gymnasium Carl Schurz, der zum Innenminister der Vereinigten Staaten von Amerika avanciert war: „Der Ordinarius der Sexta war zu meiner Zeit ein junger Westfale, Heinrich Bone, dessen ich mit besonderer Dankbarkeit gedenken muss. Er hat sich später auch in weiteren Kreisen als Lehrer einen nicht unbedeutenden Namen gemacht. Er gab uns neben dem lateinischen auch den deutschen Unterricht, und wenn ich in meinem späteren Leben den Grundsatz festgehalten habe, dass Klarheit, Anschaulichkeit und Direktheit des Ausdrucks die Haupterfordernisse eines guten Stiles sind, so habe ich das in großem Maße den Lehren zu verdanken, die ich von Bone empfing…“ Weitere Stationen Heinrich Bones waren die „Ritterakademie“ auf Schloss Bedburg im Erftkreis, eine den Söhnen des rheinisch-westfälischen Adels vorbehaltene Eliteschule, und ab 1856 das Petrinum in Recklinghausen, an dem Bone 24 Jahre zuvor sein Abitur gemacht hatte und dessen Leiter er nun wurde. Drei Jahre später wechselte er nach Mainz über und wurde am 01. Oktober 1859 Direktor des großherzoglichen Gymnasiums (heute Rabanus-Maurus-Gymnasium), einer staatlichen Schule mit betont katholischer Ausrichtung. Schon bei seiner Amtseinführung bewunderte die anwesende Presse Bones rhetorisches Geschick und seinen pädagogisches Selbstverständnis. Das „Mainzer Journal“ berichtete, Bone habe in einer „vollständig frei gehaltenen Rede“ seine neuen Schüler direkt angesprochen und sie als die „Hauptsache“ bezeichnet, um deren willen „dies alles“ geschehe: ‘Er forderte die Schüler auf, den Lehrer nicht anzusehen als einen Fremden, …sondern als Einen, der einst auch ein Kind und ein Schüler gewesen, der auf denselben Bänken gesessen und all die kleinen Freuden und Leiden der Jugend durchlebt habe´. Bone: „Für die Lehrer sind die Schüler die Lichter ihres Lebens, die Sterne, nach denen sie blicken. Sie haben die Schüler nicht zu erfassen wie ein fügsames Werkzeug,… sondern wie Menschenkinder, wie Kinder Gottes…“ So sehr Bone sich auch als katholischer Pädagoge vom erzkonservativen Schlage verstand, so korrekt und verständnisvoll verhielt er sich gegenüber den evangelischen und jüdischen Schülern seines Gymnasiums. Neben etwa 270 katholischen Schülern zählte man damals 80 evangelische und 45 jüdische Kinder. Sein Biograph Heinrich Alois Keiser schreibt, dass selbst jene Schüler, „die heute als Männer einen ganz anderen politischen und religiösen Standpunkt vertreten, voll Hochachtung von der hohen Wissenschaftlichkeit und der liebevollen Förderung sprechen, deren alle ohne Unterschied sich in seinem Unterricht zu erfreuen hatten.“
14 Jahre lang konnte Heinrich Bone in Mainz seine pädagogischen Fähigkeiten entfalten; dann ereilte auch ihn, wie so viele katholische Amtsträger, der von Bismarck vorangetriebene Kulturkampf. Am 3 April 1873 wurde er „urplötzlich“ in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Der vorgedruckte Zusatz „unter Anerkennung langjähriger, treugeleisteter Dienste“ war auf seiner Entlassungsurkunde durchgestrichen worden. Auf diese bewusste Kränkung reagierte Heinrich Bone souverän. Er verließ Mainz am nächsten Morgen und zog ins benachbarte Wiesbaden, wo er sich auch weiter seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmete. Eine Festschrift des Recklinghäuser Gymnasiums Petrinum zu Bones 125. Todestag beschreibt die Umstände, die zu seiner Entlassung führten so: „Er (Bone) verstand es nicht, sich an veränderte gesellschaftliche Gegebenheiten und politische Rahmenbedingungen anzupassen, sich mit der Gesellschaft um ihn herum weiter zu entwickeln. Er war … stehengeblieben, wo er schon als junger Mensch stand, als er 1831 als Abiturient voller Achtung und sehnsuchtsvoller Hingabe den Blick auf die Zeit Karls des Großen warf.“
Am 10. Juni 1893 starb Heinrich Bone in Hattenheim am Rhein, im Hause der Freundin seiner Tochter Auguste, die ihn bis zu seinem Tod pflegte. Er hatte seine geliebte Ehefrau um 29 Jahre und vier seiner sechs Kinder überlebt. Sein Leichnam wurde nach Mainz gebracht, in dessen übervollem Dom sein Requiem zelebriert wurde. Seine letzte Ruhestätte fand er neben seiner Frau Christine auf dem Aureus-Friedhof. Dort setzten seine Schüler ihm sechs Jahre später ein Denkmal.
Heute erinnern die Heinrich-Bone-Straße in Drolshagen und der Heinrich-Bone-Platz in Recklinghausen an den Erneuerer des katholischen deutschen Kirchenlieds. Auch und besonders in unserem Pfarrverbund dürfen wir mit Genugtuung feststellen, dass die Lieder des Drolshageners bis heute nichts von ihrer Gültigkeit und Wirkung eingebüßt haben und immer noch gerne angestimmt werden.
Im gemeinsamen Teil des heutigen Gotteslob gehen auf Heinrich Bone und sein „Cantate!“ folgende Lieder zurück:
- Herr, send herab uns deinen Sohn (GL 222)
- Lobpreiset all zu dieser Zeit (GL 258)
- Das ist der Tag, den Gott gemacht (GL 329, Strophen 1.2.5)
- Komm Schöpfer Geist, kehr bei uns ein (GL 351)
- Zu dir o Gott erheben wir (GL 142)
- Christi Mutter stand mit Schmerzen (GL 532)
- Maria aufgenommen ist (GL 522)
- Alle Tage sing und sage (GL 526)
- Die Te-Deum-Nachdichtung von Ignaz Franz „Großer Gott, wir loben dich“ (GL 380) fand in der Text- und Melodie¬fassung von Heinrich Bones Liederbuch “Cantate!” ihre heutige Verbreitung.
Autor: Heinz Stachelscheid