Krieg, was ist das? Ich wurde im August 1942 geboren und habe aus Erzählungen meiner Eltern erfahren, dass wir gegen Ende des zweiten Weltkrieges noch das ein oder andere Mal in Bunkern Zuflucht nehmen mussten, um uns vor Bomberverbänden zu schützen, die ihre tödliche Last über unserer Region abwarfen. Bewusst wahrgenommen habe ich diese letzten Kriegsereignisse nicht, aber die Erinnerungen daran wurden noch lange aufrechterhalten, sei es im familiären Umfeld oder im Schulunterricht.
77 Jahre haben wir seitdem in Frieden und Freiheit ein unbeschwertes Leben führen dürfen. Krieg war immer woanders (Korea, Vietnam, Afghanistan, Balkan) auf unserer doch so schönen Welt. Wir konnten dies alles in den Medien verfolgen, entspannt vor dem Fernsehgerät, oft mit leichtem Schaudern – es betraf uns ja nicht unmittelbar. Gesehen, abgehakt und verdrängt.
In diesen 77 Jahren hat – und das ist kein Vorwurf – das Erinnerungsinteresse der Nachkriegsgeneration immer stärker nachgelassen. Volkstrauertagsveranstaltungen mit angemessener musikalischer Begleitung und getragenen Reden finden zunehmend ohne Publikum statt. In Olpe wird der 28.März 1945 — der Tag, an dem der Krieg auch noch, kurz vor seinem Ende, nach Olpe kam — mit einer Kranzniederlegung durch den Bürgermeister in das Bewusstsein der Bevölkerung gerufen, bis auf Vertreter der Presse unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und der ein oder andere fragt nach, warum an diesem Tag die Glocken der Martinuskirche läuten! Ist was passiert??
Erinnerungen sollen mahnen, dass solch ein Wahnsinn wie ein Krieg mit seinem unendlichen Leid nicht wieder geschieht.
Erinnern wir uns an diesen 28.März 1945: Auch in Olpe ging man davon aus, dass dieser Krieg bald vorbei sein würde. Alle Anzeichen sprachen dafür, dass die Luftangriffe vom September 1944 und Februar/März 1945 die letzten Kriegsereignisse für unsere Stadt gewesen waren. Frühmorgens, am Mittwoch, den 28.März, hatte es zwar noch Fliegeralarm gegeben, offensichtlich aber Fehlalarm, denn kurz darauf erfolgte Entwarnung. Man verließ die Bunker und ging seinen persönlichen Besorgungen nach, um trotz der Kriegsbeeinträchtigungen etwas für das bevorstehende Osterfest zu erstehen. Niemand konnte ahnen, dass etliche Staffeln von englischen Jagdbombern auf dem Weg nach Olpe waren mit dem Ziel, den Olper Verschiebebahnhof zu zerstören. Niemand konnte ahnen, wir brutal das Fünkchen Hoffnung auf einen baldigen Frieden ausgelöscht werden würde. Im „Einsatzbericht Nr. 258“ der Angreifer wird der „Erfolg“ dieses Angriffs wie folgt protokolliert; “Hauptziel angegriffen von 43 Maschinen mit 309 Fünf-Zentner Bomben mittlerer Sprengkraft…Kein Ergebnis beobachtet wegen Bewölkung, ausgenommen großer brauner Rauchpilz.“
„Kein Ergebnis beobacht“. Offensichtlich hatte man nicht festgestellt, dass der Bahnhof verfehlt, aber die Unterstadt von den Bombenteppichen getroffen wurde. „Kein Ergebnis beobachtet“, bedeutete für unsere Stadt eine Trümmerlandschaft in der Innenstadt und die teilweise Zerstörung der Martinuskirche, deren zweiter Turm leider (!) nicht wieder errichtet wurde. Die Feststellung des Geleitschutzes der Bomberstaffel „Keine besonderen Vorkommnisse“ bedeutete für unsere Stadt 150 Menschen, die sofort getötet wurden oder nach kurzer Zeit ihren Verletzungen erlagen.
Dieser 28.März sollte immer ein Erinnerungstag bleiben als Mahnung, dass Kriege vermieden werden sollen, da immer unschuldige Menschen darunter leiden, die hilflos der Zerstörung und dem Tod ausgeliefert sind. Bomben auf die Ukraine, Tod, Trümmer, Hilflosigkeit! Angst und Schrecken fast vor unserer Haustür. Auch dies: „Keine besonderen Vorkommnisse???“
Die Kranzniederlegung am Ehrenmal als stete Erinnerung an unsere Toten sollte in diesem Jahr also auch an den Überfall auf die Ukraine erinnern. Nie wieder Krieg!
Horst Müller
(Alt-Bürgermeister)