Gedanken zum Tag — 25. Juni 2023 — 12. Sonntag im Jahreskreis

25. Juni 2023

(Versuch einer Kurz­fas­sung der Predigt zu meinem Goldenen Priesterjubiläum)

Liebe Schwes­tern und Brüder im Glauben!

Wie geht eigent­lich Beru­fung? – Das müsste ich doch wissen als jemand, der sich auch nach 50 Jahren immer noch zum pries­ter­li­chen Dienst berufen fühlt. Doch ich hatte kein konkretes Beru­fungs­er­lebnis, auf das ich zurück­bli­cken könnte, um diese Frage kurz und bündig zu beant­worten. Ich bin in einer Familie aufge­wachsen, in der der Glaube an Gott und das Leben mit der Kirche den Alltag wie selbst­ver­ständ­lich durch­drungen haben und was mir nie eine Last gewesen ist. Mein Freun­des­kreis, meine Umge­bung, meine Nach­bar­schaft, das christ-katho­li­sche Milieu meiner Kind­heit und Jugend­zeit hat das übrige dazu getan, dass sich so etwas wie Beru­fung nach und nach entwi­ckeln und wachsen konnte.

Die Hl. Schrift kennt jedoch sehr viele Beispiele, wie Beru­fung gehen kann: Jesus beruft z.B. mal so eben im Vorbei­gehen wie den Matthäus, den Er auffor­dert, ihm nach­zu­folgen. Und der lässt alles liegen und stehen, verlässt seine einträg­li­chen Zoll­pfründe und folgt Jesus.

Wähle­risch war Jesus bei seinen Beru­fungen gene­rell nicht. Ein kirch­li­ches Führungs­zeugnis hat ER nie verlangt. Denn der Gott, den Jesus seinen Vater nennt, wendet sich dem Sünder, dem Menschen zu, ohne eine Vorleis­tung zu verlangen, aus Gnade. Deshalb sagt Jesus: Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu berufen, sondern Sünder. ER macht damit ernst in der Praxis, nicht nur in der Theorie. Sünder mit brüchigen Lebens­ent­würfen, die geschei­tert sind und an sich selbst vorbei gelebt haben, die verstehen seine Worte. Die Gerechten aber sind meist verschlossen für seine Botschaft. Das ist die Tragik, die sich bis heute wiederholt.

Wo ordnen wir uns zu, zu den Gerechten oder zu den Sündern? — Wenn das so leicht wäre! Wenn ich ehrlich bin, dann ist eine Seite in mir immer dabei, mich als gerecht zu fühlen. — Das Wort Jesu will mich ja nicht klein machen, dass ich mit zerknirschtem Herzen mich dauernd als Sünder bekenne. Aber es will mich mit meiner Wahr­heit konfron­tieren, dass ich bedürftig bin, dass ich oft genug an mir vorbei­lebe und dass ich mich danach sehne, wirk­lich von Gott berührt und verwan­delt zu werden. Das heißt, dass ich die Brüchig­keit meiner Tugenden aner­kenne und durch all meine Bruch­stellen hindurch Gottes liebende Zuwen­dung, Gottes Gnade in mich einströmen lasse. Gerade meine Bruch­stellen können zur Einbruch­stelle von Gottes Gnade werden.

Wenn ich auf die 50 Jahre meines pries­ter­li­chen Dienstes zurück­blicke und nur darüber staunen kann, dass ich das 50 Jahre lang geschafft habe, trotz der immer schwie­riger werdenden kirch­li­chen und gesell­schaft­li­chen Entwick­lung, trotz aller Skan­dale, Mensch­lich­keiten und Unmensch­lich­keiten, dann kann ich nur demütig und dankbar sagen: Ich war das nicht, der das geschafft hat aus eigener Kraft. Offen­sicht­lich hat Gottes Gnade trotz meiner Macken und Schwä­chen in viel­fäl­tiger Form in meiner Gebro­chen­heit immer wieder mal Einbruch­stellen finden können und auch gefunden, so dass ich auch nach 50 Jahren in diesem Beruf noch Erfül­lung finde. Dafür möchte ich Gott danken.

Einen geseg­neten Sonntag wünscht Ihnen
Michael Rade­ma­cher

 

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