Gedanken zum Tag – 23. Dezember 2020, Mitt­woch der 4. Woche im Advent

23. Dez. 2020

Liebe Lese­rinnen und Leser,
liebe Mitglieder unserer Gemeinden,

vor mehr als 50 Jahren habe ich in Tübingen studiert. Kurz vor Weih­nachten war es, bald würde ich mit dem Zug nach Hause fahren. Am Sams­tag­morgen kam ich vom Friseur, da fand ich in meinem Studen­ten­zimmer einen Zettel vom Vermieter: Bitte sofort zu Hause melden. Ihr Vater ist tot.

Ich habe aus dem Fenster geschaut, ins Tal hinunter, das weiß ich noch, und die Zeit ist stehengeblieben.

Das Melden war nicht so einfach. Zuhause gab es kein Telefon. Und ich hatte ja auch keines. Den langen Weg zum Bahnhof bin ich dann gegangen, habe eine Fahr­karte besorgt für die Nacht, habe gepackt und bin los.

Am Morgen war ich da – und habe mich um die Beer­di­gung geküm­mert. Es langte gerade noch vor den Fest­tagen. Und dann war Weih­nachten. Irgendwie. –

Aus anderer Perspek­tive habe ich Ähnli­ches noch öfter erlebt. Als Pfarrer habe ich an Heilig­abend Ster­be­pro­zesse begleitet, die Kran­ken­sal­bung gespendet, Zeiten „auf Intensiv“ verbracht. Den Kopf hatte ich voll von all dem, wenn ich nach Hause kam. Aber es gab auch eine innere Zufrie­den­heit, eine stille Freude: Darüber, in das Dunkel hinein ein „Ich bin da“ setzen zu dürfen, eines, das letzt­lich nicht von mir kommt. Und gerade in das Dunkel.

Weih­nachten ist bei uns kultu­rell und folk­lo­ris­tisch ein Fest der Heime­lig­keit, des Lich­ter­glanzes, der Familie und schon auch der Sehn­sucht nach der heilen Welt. Wenn ich auf meinem Balkon stehe, sehe ich ganz nah das Kran­ken­haus. Ich sehe in der Stadt viele Fenster, von denen ich weiß, dass dort jemand allein ist. Vereinsamt wegen Corona. Oder eine Familie zerbricht oder zerbro­chen ist. Bei der Weih­nachts­vi­site im Kran­ken­haus, die dieses Jahr leider ausfallen muss, fließt versteckt so manche Träne.

Wenn ich dann darauf hinweise, dass der Stall in Betlehem auch eher Notbe­helf war, seine Dunkel­heiten hatte, trifft mich manch erstaunter Blick. Manchmal ein Lächeln.

In unsere Dunkel­heiten kommt Gott. Das ist Weih­nachten. An der Krippe ist jeder will­kommen. Die, die feiern mögen. Die, die ihre Sorgen hinter sich lassen können und froh sind. Und auch die, die sich schwertun – mit all dem was sie drückt.

Die Weih­nachts­freude darüber ist eher leise. Viel­leicht findet sie Sie ja.

Ihr
Clemens Steiling

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