Gedanken zum Tag — 22. September 2021, Mitt­woch der 25. Woche im Jahreskreis

22. Sep. 2021

Liebe Lese­rinnen und Leser,

vor ein paar Jahren bekam ich das Buch „Das volle Leben — Männer über achtzig erzählen“ (Autorin: Susanna Schwager) geschenkt. Vom öster­rei­chi­schen Sänger Udo Jürgens wusste ich ja schon, dass das Leben mit 66 Jahren anfängt, und zwar mit Motorrad und Leder­dress. Da fegt man dann mit 110 PS durch die Gegend. Und nun sollte mit achtzig Jahren noch­mals eine Stei­ge­rung folgen: noch höher, noch weiter, noch schneller?

Von den elf Schweizer Männern, die in dem Buch auf ihr Leben zurück­bli­cken, war mir damals nur der Musiker, Band­leader und Kompo­nist Hazy Oster­wald bekannt. Und so habe ich dann mit seiner Lebens­ge­schichte begonnen. Je mehr ich mich in die Erzäh­lungen hineinlas, desto klarer wurde mir, dass ich auf der falschen Fährte war. Aus den weiteren Inter­views habe ich dann entnommen, um was es in diesem Buch wirk­lich geht: Lebens­läufe voll Kraft, Mut und Stolz, aber eben auch von Versagen und Fehlern verweben sich zu Geschichten, die ergrei­fend sind. Da bleibt in den Texten nichts aus von der großen Liebe bis hin zur Geburt eines gesunden Kindes, aber auch von Schei­tern und Tren­nung. Die Männer erzählen von Krank­heit und Tod, von herben Verlusten oder von bitteren Enttäu­schungen in der Familie. Elf Männer haben „Das volle Leben“ hinter sich und noch — viel­leicht — ein biss­chen davon vor sich.

Eine Erfah­rung, die ich mit diesem Buch gemacht habe, ist mir beson­ders wert­voll: Alle Inter­viewten haben ihr Leben letzt­end­lich mit all seinen Höhen und Tiefen akzep­tiert und ihren Frieden gefunden. Niemand hat sich gewünscht, nochmal zwanzig zu sein, wie es Willi Schneider in den 60er-Jahren gesungen hat. Viel­mehr haben die Männer zu einer Grund­hal­tung des Dankens gefunden: „Mein Leben ist so verlaufen — und ich bin meinem Schöpfer dankbar dafür.“ Ich denke, das ist Gelas­sen­heit, viel­leicht sogar Weis­heit am Ende eines irdi­schen Weges; denn wir können nicht alles „machen“. Manches müssen wir auch hinnehmen und so akzeptieren.

Theodor Radhöfer
(Gemein­de­mit­glied)

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