Liebe Leserinnen und Leser,
vor ein paar Jahren bekam ich das Buch „Das volle Leben — Männer über achtzig erzählen“ (Autorin: Susanna Schwager) geschenkt. Vom österreichischen Sänger Udo Jürgens wusste ich ja schon, dass das Leben mit 66 Jahren anfängt, und zwar mit Motorrad und Lederdress. Da fegt man dann mit 110 PS durch die Gegend. Und nun sollte mit achtzig Jahren nochmals eine Steigerung folgen: noch höher, noch weiter, noch schneller?
Von den elf Schweizer Männern, die in dem Buch auf ihr Leben zurückblicken, war mir damals nur der Musiker, Bandleader und Komponist Hazy Osterwald bekannt. Und so habe ich dann mit seiner Lebensgeschichte begonnen. Je mehr ich mich in die Erzählungen hineinlas, desto klarer wurde mir, dass ich auf der falschen Fährte war. Aus den weiteren Interviews habe ich dann entnommen, um was es in diesem Buch wirklich geht: Lebensläufe voll Kraft, Mut und Stolz, aber eben auch von Versagen und Fehlern verweben sich zu Geschichten, die ergreifend sind. Da bleibt in den Texten nichts aus von der großen Liebe bis hin zur Geburt eines gesunden Kindes, aber auch von Scheitern und Trennung. Die Männer erzählen von Krankheit und Tod, von herben Verlusten oder von bitteren Enttäuschungen in der Familie. Elf Männer haben „Das volle Leben“ hinter sich und noch — vielleicht — ein bisschen davon vor sich.
Eine Erfahrung, die ich mit diesem Buch gemacht habe, ist mir besonders wertvoll: Alle Interviewten haben ihr Leben letztendlich mit all seinen Höhen und Tiefen akzeptiert und ihren Frieden gefunden. Niemand hat sich gewünscht, nochmal zwanzig zu sein, wie es Willi Schneider in den 60er-Jahren gesungen hat. Vielmehr haben die Männer zu einer Grundhaltung des Dankens gefunden: „Mein Leben ist so verlaufen — und ich bin meinem Schöpfer dankbar dafür.“ Ich denke, das ist Gelassenheit, vielleicht sogar Weisheit am Ende eines irdischen Weges; denn wir können nicht alles „machen“. Manches müssen wir auch hinnehmen und so akzeptieren.
Theodor Radhöfer
(Gemeindemitglied)