Gedanken zum Tag – 15. November, 33. Sonntag im Jahreskreis

15. Nov 2020

Liebe Lese­rinnen und Leser.

Kennen sie dieses Bild? Es trägt den Titel „Der Schrei“ und stammt vom Maler Edward Munch. Als mir dieses Bild vor einigen Tagen wieder einmal begeg­nete, hatte ich natür­lich sofort Bezüge zur aktu­ellen Situa­tion. Jetzt in Corona-Zeiten sind viele Menschen von heftigen Gefühlen beherrscht. Vor allem Angst, aber auch Wut oder Ohnmacht werden in uns spürbar. Es sind keine ange­nehmen Gefühle, sie stellen sich unwill­kür­lich ein in dieser Zeit der Pandemie. Wie gehe ich damit um?

Oft lese ich, dass wir keine Angst haben sollen. Und auch in der Bibel wird es sehr häufig gesagt: „Fürchtet euch nicht!“ Über hundert Mal. Dass uns das so häufig gesagt wird, heißt ja zuerst einmal, dass wir uns fürchten. Und — so meine Über­zeu­gung — auch mit Recht. Mit Recht haben wir Sorge, Furcht, ja Angst. Mit Recht fühlen wir uns ohnmächtig und wütend, erschöpft und verzwei­felt. Gefühle sind unwill­kür­lich. Sie kommen von selbst. Sie stellen sich auto­ma­tisch ein. Sie sind eine Reak­tion auf das, was ich gerade erlebe. Unsere Gefühle sind wie Seis­mo­gra­phen, die uns wich­tige Hinweise liefern, uns etwas sagen wollen. Die Angst als Beispiel warnt uns vor Gefahren. Die Angst macht uns sensibel und reak­ti­ons­be­reit. Und das ist gut so.

Aber heftige Gefühle können uns auch lähmen. Einen Beleg für diese Situa­tion finde ich in der bibli­schen Über­lie­fe­rung vom Sturm auf dem See.

„Am Abend dieses Tages sagte er (Jesus) zu ihnen (den Jüngern): Wir wollen ans andere Ufer hinüber­fahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; und andere Boote beglei­teten ihn. Plötz­lich erhob sich ein heftiger Wirbel­sturm und die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große (Ehr-) Furcht und sie sagten zuein­ander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?“

Was für eine Story. Die Jünger in Panik, lebens­be­droht, und das zu Recht. Mit ihren Möglich­keiten am Ende, gelähmt — und ihr Lehrer (Meister) schläft. Immerhin, sie kommen auf die Idee, sich an ihn zu wenden (aus Wut, Ohnmacht, Verzweif­lung, darüber können wir speku­lieren) — und die Lage beru­higt sich. Es geht mir hier nicht um die „wunder­mäch­tige“ Sturm­stil­lung, sondern um die Erfah­rung eines grund­le­genden Vertrauens (Glauben), und sei es noch so klein, bei all dem doch Hilfe und Trost zu erleben. Bei aller Not, bei allen Ängsten bleiben die Jünger in Verbin­dung. Sie klagen Jesus nicht an: „Wie konn­test du uns nur den Sturm schi­cken?“ Sie wecken ihn, sie suchen den Kontakt. Sie werden aktiv mit ihren Möglichkeiten.

Ich weiß nicht, wie Sie es machen, wenn die Gefühle über­mächtig werden. Ich nutze dann meine Familie, meine Freunde zum Gespräch. Ich mache Musik oder höre Musik, die mir guttut, ich erfahre aktuell inten­sive Momente in der Natur und ja, ich bete. Ich denke darüber nach, was ich tun kann für die Menschen, denen es bei aller persön­li­chen Sorge noch schlechter geht als mir. Denn auch das ist die Erfah­rung des Evan­ge­liums: Jesus handelt, er erstarrt nicht in gemein­samer Furcht. Auch Jesus nutzt seine Möglichkeiten.

Auf meinem Arbeits­platz liegt eine Karte mit einem sehr fran­zis­ka­ni­schen Motto: „Tu erst das Notwen­dige, dann das Mögliche und plötz­lich schaffst du das Unmögliche.“

Mir hilft dieser Gedanke, mich nicht in Zukunfts­ängsten zu verlieren, sondern das zu tun, was heute dran ist, im Vertrauen auf eine Kraft, die jenseits meiner Möglich­keiten liegt.

Jürgen Lenne­mann — GFO –Bereich Christ­liche Identität

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