Gedanken zum Tag — 15. Dezember 2021 — Mitt­woch der 3. Woche im Advent

15. Dez. 2021

Advent – wir warten aufs Christ­kind. Wir warten auf die Ankunft von Jesus Christus. Als Kind schien einem die Advents­zeit unfassbar lang. Als Erwach­sener vergeht sie einem oft zu schnell.

Warten – das ist ein Prozess, den wir alle gut kennen. Tagtäg­lich warten wir auf etwas: Die Ankunft eines Pakets, wir warten auf einen wich­tigen Termin oder Anruf, wir warten auf ein Wieder­sehen, wir warten auf das Ergebnis des Coro­na­tests, wir warten auf den Bus, wir warten auf das bestellte Essen, wir warten auf das Prüfungs­er­gebnis, wir warten auf die Geburt eines Kindes.

Das Warten kann uns unge­duldig, nervös, freudig oder auch traurig machen.

Eine sehr exis­ten­zi­elle und neue Warte­si­tua­tion musste ich im April dieses Jahres erleben. Meine Schwester, mein Vater, weitere Fami­li­en­mit­glieder und ich haben auf den Tod gewartet. Das mag jetzt makaber klingen, denn über den Tod wird oft lieber geschwiegen. Wir mussten uns damit ausein­an­der­setzen. Ganz unmit­telbar bei uns zu Hause. Wir warteten auf den Tod meiner Mutter, die voller Knochen­me­ta­stasen war. Die Hirn­häute waren eben­falls befallen und sie war sozu­sagen „austhe­ra­piert“. Wir wollten ihr noch eine schöne „Warte­zeit“ zu Hause ermög­li­chen, denn ihre Kräfte waren am Ende und sie war bereit zu gehen. Waren wir bereit sie loszu­lassen? Irgendwie schon, denn sie leiden zu sehen, brach uns das Herz. Irgendwie aber auch nicht, denn wir brauchten sie noch so sehr. Wir und ihre fünf Enkel­kinder – ihr ganzer Stolz. Und trotzdem betete ich insge­heim, dass es schnell gehen möge. Ich betete für eine kurze Warte­zeit auf den Tod. Wahr­schein­lich wurden meine Gebete erhört, denn nach einer Woche kam er nachts still und leise. Der Tod war für meine Mutter eine Erlö­sung, doch die Warte­zeit war kräf­te­zeh­rend. Für alle Beteiligten.

Nun warten wir wieder auf das wohl schönste Fest im Jahr. Für meine Mutter war es das auf jeden Fall. Sie hat Weih­nachten geliebt und es für uns Kinder Jahr für Jahr zu etwas Beson­derem gemacht. Ich erin­nere mich gerne an die Tradi­tionen zu Hause und gebe sie nun ganz selbst­ver­ständ­lich an meine beiden Kinder weiter.

Wir warten aufs Christ­kind – auch in diesem Jahr. Auch ohne unsere geliebte Mama, Ehefrau und Oma. Am Heiligen Abend werden wir die Erin­ne­rungs­kerze aus dem Krema­to­rium anzünden und an sie denken. Ich bin mir sicher, dass sie bei uns ist. Nicht nur im Advent, nicht nur an Weih­nachten, sondern jeden Tag.

Verena Sieler
(ehema­liges Gemein­de­mit­glied aus Ober­vei­schede, jetzt Heilig-Geist Olpe)

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