Gedanken zum heutigen Sonntagsevangelium
„Die Wut über den verlorenen Groschen.“ – so lautet ein Klavierstück, das Ludwig v. Beethoven als junger Mensch geschrieben hat. Es ist rasant, heftig und aggressiv. Wer das Stück hört, der wird so richtig hineingezogen in die Empfindungen des Komponisten. Geschichten von Suchen und Finden kennen wir. Und wir kennen auch das Gefühl, das uns beim Suchen überkommt: Hundertmal wird alles auf den Kopf gestellt. Noch einmal und noch einmal wird jede Ecke durchwühlt. Aber wir kennen auch die Erleichterung und Freude, die einen überkommt, wenn man das Gesuchte wieder in den Händen hat. Und es tut gut, anderen unsere Erleichterung und Freude mitzuteilen.
Genau mit dieser alltäglichen Situation, die wir doch alle so gut kennen, sind wir mitten im Evangelium dieses Sonntags. Denn da erzählt Jesus auch solche Alltagsgeschichten: von der Frau, die eine kleine Geldmünze sucht und dabei das ganze Haus auf den Kopf stellt; vom Schäfer, der seine ganze Herde im Stich lässt, um ein verlorenes Schaf zu suchen.
Jesus lädt seine Hörerinnen und Hörer ein, sich einmal an die Stelle des Hirten oder der Frau zu setzen. Dem Hirten war mit einem Mal dieses eine Schaf so viel Mühe und Aufwand wert, dass er dafür alles stehen und liegen gelassen hat. Die Frau hat für diese eine Drachme so viel Zeit aufgebracht, dass man über einen Stundenlohn gar nicht zu reden braucht. Genau dieses riskante Verhalten des Hirten oder das aufwendige, übertriebene Verhalten der Frau überträgt Jesus auf Gott. Gott handelt genauso.
Das ist die Antwort Jesu auf die Kritik aus den Reihen von Schriftgelehrten und Pharisäern und anderen, die sich für gerecht und auserwählt hielten. Die haben ihm vorgehalten, dass er zu schnell die Grenze überschreitet, die die Guten von den Bösen trennt. Mit diesen Geschichten macht Jesus seinen Leuten deutlich, wie Gott denkt. So wie der Hirte durch Gestrüpp, bergauf und bergab hinter einem verlorenen Schaf herrennt, so will Gott unsere Rettung. So wie die Frau sich abzappelt, bis sie ihre Münze wiedergefunden hat, so will Gott für jeden von uns Sinn und Glück.
Gott schreibt keinen Menschen ab. Bei ihm heißt es nicht: „Aus den Augen, aus dem Sinn!“ Bei ihm heißt es: „Mensch, wo bist du? Wo kann ich dich finden?“ Und auch bei Gott schäumt die Freude so richtig über, wenn er den Menschen gefunden hat.
Vielleicht kann uns dieses Evangelium, das uns Gott so menschlich nahebringt, bewegen, wenigstens in unserer kleinen Welt anders zu leben, dass wir einander immer wieder suchen, dass wir einander eine Chance geben, wenn jemand versagt hat, dass wir nicht pauschal urteilen und verurteilen.
Gott sucht den Menschen – das kann uns Mut machen, einander zu suchen, einander anzunehmen, damit Gottes Geist, Gottes Leben in dieser Welt Raum gewinnen kann.
Stefan Wigger
(Pastor im Pastoralverbund)