In den vergangenen Tagen sprach ich mit verschiedenen Menschen über sich abzeichnende Veränderungen in ihrem Leben.
Da war zunächst die junge Frau, die mir mit tränenden Augen ihre Kündigung überreichte, weil sie sich in der Erwartung, bald Mutter zu werden, eine Beschäftigung gesucht hat, die sie von zu Hause aus erledigen kann.
Dann die Information der anstehenden Pensionierung eines Mannes, dessen Gefühlslage schwankte zwischen spürbarer Erleichterung einerseits und Ungewissheit im Hinblick auf das, was „danach“ kommt, andererseits.
Schließlich ein Kondolenzgespräch mit einem guten Freund, der sich nach dem Verlust seiner Mutter fragt, wer oder was die Familie in Zukunft zusammenhalten wird.
Wir Menschen sehnen uns nach Kontinuität und Verlässlichkeit. Am liebsten wäre es uns, wenn die Dinge so bleiben, wie sie sind. Dabei ist steter Wandel Teil des Lebens. Wir selber verändern uns von Tag zu Tag und auch die Welt um uns herum steht nicht still. In diesen Tagen meint man mitunter sogar, sie drehe sich immer schneller; auch wenn im wahrsten Sinn des Wortes genau das Gegenteil der Fall ist: Die Erdrotation verlangsamt sich alle 100 Jahre um zwei Millisekunden.
Besonders der Übergang von einem Lebensabschnitt in den nächsten ruft in vielen von uns ein Wechselbad an Gefühlen hervor. Das Abschiednehmen – sei es von Orten, Tätigkeiten, Gewohnheiten oder Menschen – fällt uns immer wieder schwer.
Mir hat das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse vielfach geholfen, neue Lebensabschnitte mit Freude und Optimismus anzugehen. Bei verschiedenen Umzügen, beruflicher Neuorientierung oder verschiedenen familiären Veränderungen hat dieses Gedicht mir immer wieder Zuversicht gegeben.
Allerdings habe ich mir als gläubigem Christen die redaktionelle Freiheit nicht nehmen lassen, Hesses unsicheres „vielleicht“ an entscheidender Stelle durch ein bekennendes „gewiss“ zu ersetzen:
„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird gewiss auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich vor einschneidenden Veränderungen oder wichtigen Weichenstellungen in ihrem Leben befinden, Zutrauen im Hinblick auf das, was kommen mag. Wie schon Dietrich Bonhoeffer sagte: „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Freuen wir uns drauf!
Herzliche Grüße
Dr. Stefan Reißner