Gedanken zum Tag – 09. September 2020, Mitt­woch der 23. Woche im Jahreskreis

9. Sep. 2020

In den vergan­genen Tagen sprach ich mit verschie­denen Menschen über sich abzeich­nende Verän­de­rungen in ihrem Leben.

Da war zunächst die junge Frau, die mir mit tränenden Augen ihre Kündi­gung über­reichte, weil sie sich in der Erwar­tung, bald Mutter zu werden, eine Beschäf­ti­gung gesucht hat, die sie von zu Hause aus erle­digen kann.

Dann die Infor­ma­tion der anste­henden Pensio­nie­rung eines Mannes, dessen Gefühls­lage schwankte zwischen spür­barer Erleich­te­rung einer­seits und Unge­wiss­heit im Hinblick auf das, was „danach“ kommt, andererseits.

Schließ­lich ein Kondo­lenz­ge­spräch mit einem guten Freund, der sich nach dem Verlust seiner Mutter fragt, wer oder was die Familie in Zukunft zusam­men­halten wird.

Wir Menschen sehnen uns nach Konti­nuität und Verläss­lich­keit. Am liebsten wäre es uns, wenn die Dinge so bleiben, wie sie sind. Dabei ist steter Wandel Teil des Lebens. Wir selber verän­dern uns von Tag zu Tag und auch die Welt um uns herum steht nicht still. In diesen Tagen meint man mitunter sogar, sie drehe sich immer schneller; auch wenn im wahrsten Sinn des Wortes genau das Gegen­teil der Fall ist: Die Erdro­ta­tion verlang­samt sich alle 100 Jahre um zwei Millisekunden.

Beson­ders der Über­gang von einem Lebens­ab­schnitt in den nächsten ruft in vielen von uns ein Wech­selbad an Gefühlen hervor. Das Abschied­nehmen – sei es von Orten, Tätig­keiten, Gewohn­heiten oder Menschen – fällt uns immer wieder schwer.

Mir hat das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse viel­fach geholfen, neue Lebens­ab­schnitte mit Freude und Opti­mismus anzu­gehen. Bei verschie­denen Umzügen, beruf­li­cher Neuori­en­tie­rung oder verschie­denen fami­liären Verän­de­rungen hat dieses Gedicht mir immer wieder Zuver­sicht gegeben.

Aller­dings habe ich mir als gläu­bigem Christen die redak­tio­nelle Frei­heit nicht nehmen lassen, Hesses unsi­cheres „viel­leicht“ an entschei­dender Stelle durch ein beken­nendes „gewiss“ zu ersetzen:

„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weis­heit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapfer­keit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Welt­geist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und trau­lich einge­wohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöh­nung sich entraffen.

Es wird gewiss auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich vor einschnei­denden Verän­de­rungen oder wich­tigen Weichen­stel­lungen in ihrem Leben befinden, Zutrauen im Hinblick auf das, was kommen mag. Wie schon Diet­rich Bonhoeffer sagte: „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Freuen wir uns drauf!

Herz­liche Grüße
Dr. Stefan Reißner

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