Endlich ist es soweit. Mein Weg beginnt am Kilometerstein 114,539 in Sarria. Bei strahlendem Sonnenschein geht es los Richtung Santiago de Compostela. Sechs Tagesetappen führen mich quer durch Galicien zur Kathedrale des Heiligen Apostels Jacobus.
Alle meine Zweifel lösen sich schnell auf. Ich lerne, mich ganz auf den Weg zu verlassen. Immer den gelben Pfeilen nach, die auf Steinen, an Häuserwänden oder einfach auf der Straße aufgemalt, die Richtung vorgeben. Ich kann mich also ganz meinen Gedanken überlassen, die Natur rundherum genießen und komme unbesorgt meinem Ziel mit jedem Schritt näher.
Ich bin ohne eine Gruppe unterwegs, aber nie allein. Immer sind Menschen aller Nationen mit dem gleichen Ziel um mich herum. „Buen Camino!“, der alte Pilgergruß ist bei jeder Begegnung zu hören. Man wünscht sich so einen „guten Weg!“. Manchmal ist dieser Weg steil bergauf, mühsam und unübersichtlich, dann wieder öffnen sich ganz neue Aussichten und es gibt Gelegenheiten sich auszuruhen und Kraft zu tanken, gute Gespräche zu führen oder einfach nur zuzuhören. Dichte, uralte und herrlich duftende Wälder wechseln sich mit Straßenabschnitten, kleinen, oft verlassenen Höfen und Dörfern ab.
So, wie in unserem Leben auch, geht es immer stetig voran, jeder in seinem Tempo, nie zurück. An jeder Weggabelung ist es mir überlassen, ob ich dem Wegweiser folgen möchte oder eben diesen Weg (für eine Weile) verlasse, um eine andere Richtung einzuschlagen.
Manche Menschen begleiten mich nur kurz, andere sehe ich immer mal wieder. Eines ist allen gemein: alle, ob langsam oder schnell, jung oder alt, streben zum selben Ziel. Die Stimmung auf dem Camino Frances ist gut. Es ist ein leiser Weg, hier kann ich zur Ruhe kommen, den Blick auf mich selbst lenken und entschleunigen.
Ohne Vorwarnung machen sich tiefsinnige Gedanken breit, immer wieder erfüllt mich eine große Dankbarkeit, diesen Weg gehen zu können. Das Wetter ist optimal. Dinge, die im Alltag zu kurz kommen, finden hier ihren Raum: Achtsamkeit, mal sich selbst und kleine Dinge wahrnehmen und wertschätzen, die eigenen Bedürfnisse erkennen, Gelassenheit üben und Gott vertrauen.
Mein Pilgerpass füllt sich unterwegs an Versorgungstellen und Kirchen mit bunten Stempeln. So kann ich nicht nur nachweisen, dass ich die letzten 100 km des Pilgerweges zu Fuß zurückgelegt habe, um meine Pilgerurkunde (Compostela) abholen zu können, sondern hier nehme ich auch mit jedem Eintrag schöne Erinnerungen mit nach Hause.
Nach der Ankunft in der Kathedrale von Santiago de Compostela und dem Besuch des Grabmals in der Krypta bin ich einfach nur überwältigt von der Atmosphäre und Freundlichkeit der Stadt. Ich fühle mich willkommen! Der Besuch der Pilgermesse ist genau der passende Abschluss für diese Woche.
Wieder zu Hause angekommen, wirkt vieles nach. Es war eine besondere Zeit.
Sollten Sie auch schon mal darüber nachgedacht haben, pilgern zu gehen, ich kann es nur empfehlen.
Nicht zögern – einfach machen – es wird schon gut!
Buen Camino! Ihnen allen einen guten Weg
Ihre Sandra Mester
(Gemeindemitglied)