Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche Deutschlands wurde zu Beginn des Jahres 2010 ein Thema von breitem öffentlichem Interesse. Ein Zeitungsbericht zu Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg in Berlin löste eine Welle der Berichterstattung aus, durch die immer mehr Fälle des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland bekannt wurden.
Unter dem Druck anhaltender Kritik reagierte die römisch-katholische Kirche in Deutschland, insbesondere die Deutsche Bischofskonferenz seit dem Krisenjahr 2010 mit zahlreichen Maßnahmen zur Aufarbeitung und Prävention. Dazu zählen unter anderem aufklärende Gutachten, Missbrauchs- und Präventionsbeauftragte in den Bistümern, die mehrfache Weiterentwicklung der kirchlichen Leitlinien zum sexuellen Missbrauch bis zur aktuellen Missbrauchsordnung und Zahlungen an Missbrauchsopfer. Die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene, im Jahr 2018 veröffentlichte MHG-Studie ermittelte erstmals detaillierte Daten für ganz Deutschland und gab den Anstoß für den Synodalen Weg.
Seit einiger Zeit befassen sich auch die katholischen Kirchengemeinden des Pastoralen Raumes Olpe-Drolshagen mit dem Thema Missbrauch. Dabei wurde und wird immer wieder über die Frage gesprochen, wie Kinder und Jugendliche in den Kirchengemeinden vor Missbrauch geschützt werden können. Dazu gibt es mittlerweile Informationsveranstaltungen, Fortbildungsangebote und eigens entwickelte Schutzkonzepte in Teilbereichen des Pastoralen Raumes.
Unter anderem ist die Pfarrgemeinde St. Martinus Trägerin des Lorenz-Jaeger-Hauses / OT Olpe. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind dort eingeladen, die verschiedenen Angebote der Offenen Tür zu nutzen. In demselben Haus befinden sich ebenso Pfarrräume für die Arbeit der Kirchengemeinde.
Inzwischen sind bei Untersuchungen auf Diözesanebene infolge einer Studie der Universität Paderborn („Missbrauch im Erzbistum Paderborn – Eine kirchenhistorische Einordnung. Die Amtszeiten von Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt (1941–2002)“) schwere Vorwürfe gegen die genannten Erzbischöfe erhoben worden. Das hat die Zwischenbilanz eines Untersuchungsberichts ergeben. Darin stellen die Forscherinnen Christine Hartig und Nicole Priesching ein gravierendes persönliches Fehlverhalten der Kardinäle Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt fest, wenn es gleichwohl auch systemische Ursachen für den Missbrauch in Kirche und Gesellschaft gab und gibt. Die Historikerinnen der Universität Paderborn überprüfen derzeit in einer mehrjährigen Studie Fälle sexuellen Missbrauchs.
Nach intensiven Beratungen in Gesamtpfarrgemeinderat Olpe und Kirchenvorstand St. Martinus haben nun beide Gremien Stellung bezogen, insbesondere zu der Frage, wie weiterhin mit der Namensgebung der OT Olpe und der Gemeinderäume St. Martinus umgegangen werden soll, die unter dem Patronat bzw. der ‚Schirmherrschaft‘ Kardinal Lorenz Jaegers stehen. Lorenz Jaeger war in seiner Kindheit Bürger von Olpe und blieb zeit seines Lebens mit der Stadt verbunden, von der er auch die Ehrenbürgerschaft erhielt.
Ergebnis der Beratungen des Kirchenvorstands St. Martinus und des Gesamtpfarrgemeinderats Olpe:
Das Lorenz-Jaeger-Haus soll in Gemeindezentrum St. Martinus und OT Olpe umbenannt werden
Der Gesamtpfarrgemeinderat Olpe und der Kirchenvorstand St. Martinus haben nach intensiven Beratungen einhellig entschieden, das Lorenz-Jaeger-Haus umzubenennen. Das geschieht aufgrund der Teilergebnisse einer zurzeit laufenden Studie der Universität Paderborn zum Verhalten von Kardinal Lorenz Jaeger (1892–1975) während seiner Amtszeit als Erzbischof. Im Umgang mit Tätern und Opfern sexuellen Missbrauchs ist ihm gravierendes persönliches Fehlverhalten nachgewiesen worden.
Die Kirchengemeinden des PR Olpe-Drolshagen vollziehen somit einen Perspektivwechsel. Sie sind sich darüber im Klaren, dass durch die Namensänderung der Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen nicht rückgängig gemacht werden kann. Leider sind die Opfer von Missbrauch in der Vergangenheit nicht umfassend wahrgenommen worden. Stattdessen wurden die Täter vielfach geschützt, um das Ansehen der Institution Kirche zu wahren.
Nach Auffassung der Gremienvertreter von Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand ist es nicht angemessen, dass ein Haus, in dem Jugendarbeit stattfindet, den Namen einer Person trägt, die sich im Umgang mit Missbrauchstätern und deren Opfern falsch verhalten hat. Natürlich gab es in der Vergangenheit auch systemische Ursachen des Mißbrauchs. Die Versäumnisse einzelner Bischöfe sind einzubetten in eine „Kultur“ des Wegschauens und Verdrängens einer ganzen Gesellschaft. Das entbindet jedoch nicht Menschen in Leitungs- und Führungspositionen, wie zum Beispiel Kardinal Lorenz Jaeger, von ihrer persönlichen Verantwortung. Für Missbrauchsopfer ist der bisherige Name des Gebäudes nachvollziehbar eine bleibende Provokation.
Vielerorts ist in den letzten Jahren infolge historischer Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs eine neue Bescheidenheit im kirchlichen Bereich aufgekommen, die einen sorgfältigen Umgang bei der Benennung von Gebäuden, Räumen und Denkmälern mit Namen öffentlicher Personen nahelegt.
Unterdessen anerkennen die Vertreter von Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand in Olpe, dass es generell schwer ist, posthumen über einen Menschen zu urteilen, der nicht mehr Rede und Antwort stehen kann. Das letzte Urteil über eine Person steht aus christlicher Sicht allein Gott zu. Unter diesem Blickwinkel sieht die Kirchengemeinde nach wie vor die große Lebensleistung von Kardinal Lorenz Jaeger. Deshalb soll im neu benannten Gemeindezentrum St. Martinus bzw. in der OT Olpe eine Schautafel an Lorenz Jaeger erinnern, die seine Biografie darstellt, sein Lebenswerk würdigt und erklärt, wie die Gemeinde zur Umbenennung des Gebäudes gekommen ist.
Diese Tafel soll in Rücksprache mit der Betroffenenvertretung des Erzbistums Paderborn erstellt werden. Damit verbunden werden das Konzept der OT als Teil der pastoralen Engagements der Kirchengemeinden überarbeitet und die Hausleitung und die Nutzer des Gebäudes gebeten, mögliche Rückmeldungen zur veränderten Namensgebung zu geben.
Der Gesamtpfarrgemeinderat Olpe und der Kirchenvorstand St. Martinus erhoffen sich mit ihrer Entscheidung einen offenen Dialog über die Geschehnisse der Vergangenheit und deren Aufarbeitung zu befördern, der für die schwierige Thematik des Missbrauchs von Menschen sensibilisiert. Ziel kann dabei nur sein, Missbrauch in Kirche und Gesellschaft zu ächten und alle Möglichkeiten der Prävention auszuschöpfen. Gleichzeitig brauchen Opfer von Missbrauch positive Begleitung und Unterstützung, um ihre schrecklichen Erlebnisse bewältigen zu können.