„Endlich wieder!“ habe ich in den vergangenen Wochen oft über einen der offensichtlich meistgeliebten Feiertage der Republik gehört — begleitet von Erleichterung, Freudestrahlen, einer Liste, an wen alles gedacht werden soll und einen Plan B für schlechtes Wetter. So kollektiv haben wir uns seit Beginn der Pandemie nicht mehr auf irgendetwas gefreut. Zu Recht, wie ich finde!
Endlich rückt die Maskenpflicht um das Virus, das uns das Leben in den nunmehr zwei Jahren so schwer gemacht hat, in den Hintergrund, einige Wanderwege sind hoffentlich trotz aller Waldarbeiten rund um die Borkenkäferbekämpfung noch begehbar und für ein Friedenszeichen im Nahen Osten haben wir Bürger uns bisher, so gut es in unserer Macht stand, auch eingesetzt. Klingt provokant?
„Schade nur, dass der erste Mai auf das Wochenende fällt. Schon wieder nicht einen Tag mehr frei. Und dann muss ich mir am Montag noch Urlaub nehmen!“ Ehrlich gesagt begleite ich diese Anmerkungen zum Tag der Arbeit eher mit einem Kopfschütteln.
Zum einen, weil sie dem Hintergrund es Tages nicht gerecht werden. Die Vorgeschichte begann zum Ende des Bürgerkriegs 1865 in den USA, als die amerikanischen Gewerkschaften erstmals die Forderung nach der Einführung des Acht-Stunden-Tags erhoben. Bis in die 1860er Jahre galten in den meisten US-Betrieben Arbeitszeiten von elf bis 13 Stunden, erst dann konnten sie den Zehn-Stunden-Tag als Regelarbeitszeit durchsetzen. Es sollten weitere beinahe zwanzig Jahre vergehen, bis sie 1884 die allgemeine und verbindliche Durchsetzung einer täglich achtstündigen Arbeitszeit in Angriff nahmen. Sie beschlossen, am 1. Mai 1886 dafür einen mehrtägigen Generalstreik zu führen. Kaum zu glauben, dass wir heute, im Jahr 2022, erst 157 Jahre auf diese Bewegung zurückblicken — nach über 2 Millionen Jahren Menschheitsgeschichte.
Diesseits des Ozeans fiel der Beschluss des Pariser Kongresses, den Kampf um den Acht-Stunden-Tag als internationale Aktion zu führen, mitten in die größte Streikwelle hinein, die das Deutsche Reich bis dahin erlebt hatte. Bis Dezember 1889 hatten 18 Gewerkschaften ihre Absicht erklärt, am kommenden 1. Mai zu streiken. Diese Erklärungen waren nicht unumstritten. Trotz drohender Sanktionen beteiligten sich am 1. Mai 1890 in Deutschland etwa 100.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an Streiks, Demonstrationen und sogenannten “Maispaziergängen”. Die regionalen Schwerpunkte bildeten Berlin und Dresden, aber auch Hamburg, wo es zu einem besonders erbitterten Arbeitskampf mit zeitweise 20.000 Beteiligten kam. Der erste Mai als Feiertag hat nicht zuletzt die Weltkriege und die politischen Veränderungen in Deutschland überlebt, da er mitunter als Paradetag zur Ästhetisierung politischer Ziele missbraucht wurde.
Der “Tag der Arbeit” oder auch “Labor Day” ist heute in vielen Ländern der Welt ein gesetzlicher Feiertag mit teilweise blutiger Geschichte, an dem es um Rechte ging, die wir bis heute genießen dürfen.
Zum Anderen begleitet mich dieses Kopfschütteln aber insbesondere aus eher einer moralischen Haltung. Denn die weltweite Verbreitung dieser so bedeutenden Bewegungen, die internationale Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Bedürfnissen und Regelungen im Sinne einer sozial- und familienverträglicheren Arbeitswelt und die internationale Einigkeit darüber, zeigen die humanistische, Wert-volle Bedeutung, die wir uns aktuell bewusster denn je machen sollten: Vor allem „nach“ Corona — weil wir gespürt haben, dass wir einander im Austausch zum Leben brauchen.
Vor allem, weil es Kriege auf der Welt gibt und nichts von dem, was wir besitzen selbstverständlich ist. Vor allem, weil wir wissen, wie sorgsam und bewusst wir mit der Umwelt umgehen sollten, denn sie ist so leicht verletzbar.
Feiern also ja. Unbedingt. Ich glaube sogar, dass es das Internationalste und zugleich Christlichste ist, was wir an diesem Tag tun können („Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, dann bin ich mitten unter ihnen“). Und wenn dann mal der 2. Mai nicht frei ist, erinnert uns die Geschichte unseres geliebten Maifeiertages vielleicht daran, eher das fröhliche, ausgelassene Beisammensein zu genießen und den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Darin liegt mein Wunsch: Feiern Sie heute also schön, mit Menschen, die Ihnen am Herzen liegen. Wandern sie herrliche Strecken durch den Wald oder über Felder und sehen Sie, dass die Natur Kraft hat, sich selbst zu helfen. Und halten Sie sich den Frieden, der darin liegt, hoch.
Herzlichst, Anke Koch
(Gemeindemitglied aus Olpe)