MISEREOR Sonntag – Aushalten — ES GEHT! GERECHT.
Zutreffender auf unsere derzeitige Situation könnte ein Bild kaum sein als das aktuelle Hungertuch von MISEREOR, das seit Beginn der Fastenzeit in vielen Kirchen hängt. Darin spiegelt sich das unendliche Leid der vielen an Körper und Seele verletzten Menschen in der Ukraine, aber auch der Geflüchteten, der vielen ums Überleben kämpfender Menschen im globalen Süden und auch derjenigen, die schon heute unter der Klimakrise, die für viele schon jetzt eine Katastrophe ist, wider. Wo kann man da noch Hoffnungsvolles finden, wenigstens einen Schimmer? Vielleicht auf dem Hungertuch-Bild:
Es war im Oktober 2019 — also gefühlt vorgestern, kurz vor Beginn der Corona Pandemie. Auf dem Platz der Würde haben sich in Chiles Hauptstadt Santiago und in vielen weiteren Städten tausende, meist junge Menschen versammelt. Sie protestieren gegen ihre schlechten Bildungschancen und gegen die krassen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten. Ihre Geduld ist am Ende, sie sind außer sich. Die Proteste eskalieren, viele Menschen werden brutal verletzt, nachdem die Polizei eingegriffen hat.
Einer dieser verletzten Menschen begegnet uns auf dem Hungertuch. Er wurde schwer verletzt. Sein Fuß ist kompliziert gebrochen. Er hat komplett seinen Halt verloren. Die Künstlerin Lilian Moreno Sanchez, die 1986 in Chile geboren wurde, erinnert an diesen Menschen. Sie hat das Röntgenbild des gebrochenen Fußes nachgezeichnet, gemalt auf Klinikbettwäsche mit grauen Flecken und Straßenstaub, mitten hinein gestellt in das dreigeteilte Hungertuchbild. Dieser Fuß mit seinen sichtbaren Verletzungen steht stellvertretend für alle Orte und Anlässe, an denen Menschen gebrochen und verletzt werden.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es doch auf dem Bild: Zusammengeflicktes, genäht mit goldenen Fäden, vielleicht um Hoffnung zu ermöglichen; goldene Blumen — Zeichen von Hoffnung vielleicht, vielleicht …
An diesem 5. Fastensonntag findet der MISEREOR Sonntag statt. Dabei wird für die vielen Projekte der MISEREOR Partner gesammelt, die in ihrem jeweiligen Lebensraum im globalen Süden mehr Gerechtigkeit umsetzen wollen. Gerade jetzt, wo wir die eigene Verletzlichkeit und Bedrohung so dicht und hautnah spüren, gilt es die Hoffnungsfäden zu suchen, die etwas zusammenflicken können.
Das Hungertuch Motiv bringt die augenblickliche Gefühlslage auf den Punkt. Das Verletzliche und Gebrochene dominiert, aber es gibt auch die Ansätze zum Heilen und Verbinden. Vielleicht geht es derzeit vielen so, dass man diese Situationen, an denen man verzweifeln kann, nur irgendwie versuchen kann auszuhalten — und hoffen lernt, dass die dünnen Hoffnungsfäden halten.
Das Hungertuch, übrigens erstmals gemeinsam von MISEREOR und BROT FÜR DIE WELT ökumenisch verwendet, soll die Fastenaktion unter dem Motto „Es geht! Gerecht“ unterstützen. Angesichts der vielen globalen und nahen Herausforderungen geht es nur mit mehr Gerechtigkeit.
Hermann-Josef Günther
(Gemeindemitglied St. Marien)