Gedanken zum Tag — 02. Februar 2022 — Mitt­woch der 4. Woche im Jahreskreis

2. Feb. 2022

Die ARD-Doku­men­ta­tion „Wie Gott uns schuf“ in der vergan­genen Woche hat mich ebenso wie viele andere tief bewegt. 125 Mitchris­tInnen, die sich über viele Jahre lang an verschie­denen Stellen in den Dienst der Kirche gestellt haben, streifen ihre (kirchen-) syste­misch erzwun­gene, persön­liche Unfrei­heit ab und outen sich gemeinsam. Es hat mich berührt und betroffen gemacht, zu sehen und zu hören, welchen inneren Kämpfen und welcher Zerris­sen­heit diese Mitchristen ausge­setzt waren und wie sehr sie darunter gelitten haben, ihre sexu­elle Orien­tie­rung zu unter­drü­cken oder die Bezie­hung zu einem geliebten Menschen zu verheimlichen.

Dabei ist die durch Darwins Evolu­ti­ons­theorie hervor­ge­brachte Hypo­these, dass „natür­liche“ Sexua­lität nur dem Fort­be­stand der Arten und damit der Fort­pflan­zung dient, längst über­holt. Natur­wis­sen­schaftler konnten beob­achten, dass gleich­ge­schlecht­liche Bezie­hungen ein weit verbrei­tetes Phänomen in der Natur sind. Sexu­elle Hand­lungen dienen zudem nicht zwin­gend dem Fort­pflan­zungs­trieb, sondern mitunter ausschließ­lich dem eigenen Vergnügen.

Mich stimmt traurig, dass einige der Betrof­fenen mit ihrem Coming Out womög­lich um den Fort­be­stand ihrer Arbeits­ver­hält­nisse fürchten müssen. Kann es sein, dass unsere Kirche den Glau­bens­grund­satz, dass Gott jeden von uns vorbe­haltlos liebt, im Hinblick auf diese Mitar­beiter nicht so wie für alle anderen gelten lässt? In unserem Bistum gibt es gottlob für Mitar­beiter im Dienst der Kirche keine unwei­ger­liche Kündi­gung wegen „Loya­li­täts­ver­stößen“ mehr. Statt­dessen wird sorg­fäl­tige Einzel­fall­prü­fung prak­ti­ziert. Aber: Ist es über­haupt richtig, dass sich Menschen, für ihre Sexua­lität oder ihre gelebten Bezie­hungen recht­fer­tigen müssen? Ich finde, das geht keinen Arbeit­geber, auch nicht die Kirche, etwas an.

Niemand sollte seine Sexua­lität oder die Bezie­hung zu einem geliebten Menschen leugnen müssen: Kein(e) wieder­ver­hei­ra­tete® Kinder­er­zie­herIn oder Kran­ken­pfle­gerIn, kein(e) Gemein­de­re­fe­rentIn, die in einer Lebens­ge­mein­schaft mit ihrem/ihrer gleich­ge­schlecht­li­chen Part­nerIn lebt und auch kein homo­se­xu­eller Geistlicher.

So wenig die Kirche die sexu­elle Orien­tie­rung ihrer Mitar­beiter angeht, so sehr sollte sie hingegen das Fehl­ver­halten der Miss­brauchs­täter angehen, die ihr Nähe­ver­hältnis zu Schutz­be­foh­lenen in schänd­li­cher Weise für sexu­elle Hand­lungen ausge­nutzt haben. Hier wünsche ich mir wie viele Mitchris­tInnen vorbe­halt­lose Aufklä­rung und konse­quente Sanktion.

Der Gesamt­pfarr­ge­mein­derat hat in seiner vergan­genen Sitzung entschieden, ein zeit­nahes Treffen zur Diskus­sion der durch den Fern­seh­bei­trag ange­sto­ßenen Themen anzu­bieten. Es wäre schön, wenn sich daran möglichst viele betei­ligen, damit sich die Dinge in unserem Pasto­ral­ver­bund in die rich­tige, nämlich diskri­mi­nie­rungs­freie Rich­tung entwickeln.

Herz­liche Grüße
Dr. Stefan Reißner

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