Die ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ in der vergangenen Woche hat mich ebenso wie viele andere tief bewegt. 125 MitchristInnen, die sich über viele Jahre lang an verschiedenen Stellen in den Dienst der Kirche gestellt haben, streifen ihre (kirchen-) systemisch erzwungene, persönliche Unfreiheit ab und outen sich gemeinsam. Es hat mich berührt und betroffen gemacht, zu sehen und zu hören, welchen inneren Kämpfen und welcher Zerrissenheit diese Mitchristen ausgesetzt waren und wie sehr sie darunter gelitten haben, ihre sexuelle Orientierung zu unterdrücken oder die Beziehung zu einem geliebten Menschen zu verheimlichen.
Dabei ist die durch Darwins Evolutionstheorie hervorgebrachte Hypothese, dass „natürliche“ Sexualität nur dem Fortbestand der Arten und damit der Fortpflanzung dient, längst überholt. Naturwissenschaftler konnten beobachten, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen ein weit verbreitetes Phänomen in der Natur sind. Sexuelle Handlungen dienen zudem nicht zwingend dem Fortpflanzungstrieb, sondern mitunter ausschließlich dem eigenen Vergnügen.
Mich stimmt traurig, dass einige der Betroffenen mit ihrem Coming Out womöglich um den Fortbestand ihrer Arbeitsverhältnisse fürchten müssen. Kann es sein, dass unsere Kirche den Glaubensgrundsatz, dass Gott jeden von uns vorbehaltlos liebt, im Hinblick auf diese Mitarbeiter nicht so wie für alle anderen gelten lässt? In unserem Bistum gibt es gottlob für Mitarbeiter im Dienst der Kirche keine unweigerliche Kündigung wegen „Loyalitätsverstößen“ mehr. Stattdessen wird sorgfältige Einzelfallprüfung praktiziert. Aber: Ist es überhaupt richtig, dass sich Menschen, für ihre Sexualität oder ihre gelebten Beziehungen rechtfertigen müssen? Ich finde, das geht keinen Arbeitgeber, auch nicht die Kirche, etwas an.
Niemand sollte seine Sexualität oder die Beziehung zu einem geliebten Menschen leugnen müssen: Kein(e) wiederverheiratete® KindererzieherIn oder KrankenpflegerIn, kein(e) GemeindereferentIn, die in einer Lebensgemeinschaft mit ihrem/ihrer gleichgeschlechtlichen PartnerIn lebt und auch kein homosexueller Geistlicher.
So wenig die Kirche die sexuelle Orientierung ihrer Mitarbeiter angeht, so sehr sollte sie hingegen das Fehlverhalten der Missbrauchstäter angehen, die ihr Näheverhältnis zu Schutzbefohlenen in schändlicher Weise für sexuelle Handlungen ausgenutzt haben. Hier wünsche ich mir wie viele MitchristInnen vorbehaltlose Aufklärung und konsequente Sanktion.
Der Gesamtpfarrgemeinderat hat in seiner vergangenen Sitzung entschieden, ein zeitnahes Treffen zur Diskussion der durch den Fernsehbeitrag angestoßenen Themen anzubieten. Es wäre schön, wenn sich daran möglichst viele beteiligen, damit sich die Dinge in unserem Pastoralverbund in die richtige, nämlich diskriminierungsfreie Richtung entwickeln.
Herzliche Grüße
Dr. Stefan Reißner