Weißensonntag. Heute wollten in unserem Pastoralverbund 113 Kinder das Fest ihrer Erstkommunion feiern. Ein halbes Jahr lang haben sie sich innerhalb der Seelsorgestunden in der Schule und in Tischgruppentreffen vorbereitet. Sie haben gemeinsam Weggottesdienste gefeiert, ihr Taufbekenntnis erneuert und das Sakrament der Beichte empfangen. Auch in den Familien war alles für die große Feier vorbereitet. Gäste eingeladen, Kommunionkleidung gekauft, Essen geplant und vieles mehr. Alle haben sich für diesen Tag Zeit genommen und sich darauf gefreut. Dass Kontakte nun eingeschränkt sind, damit alle gesund bleiben, leuchtet ein, macht aber auch traurig. Das Fest darf nicht gefeiert werden, eine Alternative kann noch nicht geplant werden. Wir befinden uns mitten in dieser Krise- vielleicht erst am Anfang.
„Wie wird es weitergehen? Wie können wir diese Krise durchstehen? Was gibt uns neuen Mut? Woher bekommen wir neue Kraft?“ Das sind wichtige Fragen in dieser Zeit.
Unser Glaube kann hier eine besondere Perspektive anbieten. Viele Religionen, Weltanschauungen und Spiritualitäten verbindet die Überzeugung, dass es Quellen von Kraft und Lebendigkeit gibt, die tiefer liegen als das unmittelbar Sicht- und Machbare. Oder von einem personalen, liebesfähigen Gott her formuliert: Wir dürfen damit rechnen, dass Gott für mich zur rechten Zeit etwas bereithält, was mir weiterhilft in Wüsten, Widerständen und Krisen.
Es gibt eine interessante biblische Geschichte im ersten Buch der Könige, die das in ein existentielles Bild fasst. Vielen Erstkommunionfamilien ist sie als Lesung aus der Festmesse oder der Andacht am Weißensonntag bekannt. Im Mittelpunkt steht der Prophet Elija. Er wird betrachtet im Moment einer schweren Lebenskrise. Szenisch ausgedrückt wird das durch das Bild der Wüste. Doch dann passiert etwas:
„Elija ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod.
Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.
Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss!
Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin.
Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich. Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.“
(1 Kön 19,4–8)
Das Bild vom Engel ist ein Existenzbild. Es geht da nicht um ein wunderliches Flügelwesen. Ein Engel ist ein Bote Gottes. Ein Bote, der etwas von Gott zeigen, etwas von seiner Kraft bringen kann. Das kann für uns beispielsweise ein Mensch sein, der in einer bestimmten Situation zum Engel wird. Elija begegnet in dieser Szene einem solchen Engel. Und dieser bringt ihn in Kontakt mit neuen Ressourcen.
Der Engel erscheint in dem Moment, wo Elija loszulassen beginnt, dargestellt durch das Bild des Schlafes. Er hat alles gegeben. Mehr hat er nicht. Nun muss entweder Hilfe kommen, oder er geht zugrunde. In diesem Moment, wo er loslässt, kommt das Neue. Der Engel kommt und mit ihm neue seelische Nahrung. Eines allerdings muss Elija dann wieder tun. Er muss aufstehen: „Erhebe dich, richte dich auf, steh‘ auf.“ Und er muss essen: „Iss, trink, nähre dich. Sonst ist der Weg zu weit für dich.“
Auf unseren Lebensalltag — auch auf unser Verhalten in dieser Krise — übertragen kann das heißen: Schau‘ dich um, vielleicht begegnet dir gerade ein Engel und hat für dich neue Nahrung dabei. Etwas, das deine Lebenskraft, deinen Lebensmut regenerieren kann. Wahrscheinlich ist es kein besonderes Ereignis, kein rauschendes Fest, kein gewaltiger Glücksmoment. Sondern eine von den schlichten, alltäglichen Nahrungsquellen. Gerade jetzt ist es wichtig, diese achtsam wahrzunehmen, wertzuschätzen und auszukosten. Die kleinen Kraft- und Mutspritzen, ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein Brief, ein schöner Film, ein tröstendes Augenzwinkern, ein Song, ein Videoclip, ein Abendessen, ein Spiel, ein Vogel am Himmel…
Schau dich um in deinem Leben nach „Brot“ und „Wasser“, nach den großen und kleinen Kraftquellen. Und dann steh‘ auf und iss. Ich – Gott – sorge dafür, dass du seelisch nicht verhungerst. Du – Mensch – musst im rechten Augenblick aufstehen und essen, um Kraft zu bekommen für den nächsten Schritt.
Auf dass wir diese Kraftquellen mehr und mehr aufspüren und wahrnehmen!
Gerlind Kaptain und Marie-Christine Stein